Drogenprozess vor der Strafkammer abgebrochen - Ein Tag zum Verzweifeln für das Gericht: Schöffe schlummert mehrfach ein

23.10.2013 - 00:00 Uhr

An Tagen wie diesen kann ein Gericht regelrecht verzweifeln. Eigentlich hätte es vor der Ersten Strafkammer um mehrere Kilogramm Heroin und drei mutmaßliche Dealer gehen sollen. Doch nach sieben Stunden war noch nicht einmal die Anklageschrift verlesen. Hauptgrund dafür: Einer der Schöffen war im Prozess mehrfach eingeschlafen. Heute beginnt das Verfahren deshalb von vorne. Ohne den müden Laienrichter.

Die Männer aus Amberg und Sulzbach-Rosenberg werden gefesselt vorgeführt. Einer aus Armenien (39), der zweite aus Russland (36), der dritte ein Kasache (28) mit deutschem Pass. Sie sitzen fröhlich lachend auf der Anklagebank und lassen ihre Verteidiger dicke Bretter bohren. Die Juristen arbeiten mit Volldampf, bringen Anträge vor, lassen - so hatte es zumindest gestern den Eindruck - das eigentliche Tatgeschehen zu einem Nebenkriegsschauplatz werden.

Staatsanwalt Jürgen Konrad wollte seine Anklageschrift verlesen, das war ihm aber schon bei einem ersten Termin heuer im Juli nicht geglückt. Jetzt musste sich Konrad erneut in Geduld üben und geriet selbst ins Visier der aus ganz Deutschland angereisten sechs Anwälte. Kaum hatte die Kammervorsitzende Roswitha Stöber das Verfahren eröffnet, sah sie sich auch schon der Kritik des Regensburger Anwalts Dr. Jan Bocke-mühl ausgesetzt.

Anwalt: Nicht rechtens

Es ging um die Frau, die eigentlich als Schöffin dem auf 26 Tage angesetzten Verfahren hätte beiwohnen sollen. Sie machte berufliche und gesundheitliche Gründe für ihre Bitte um eine Entbindung von der Laienrichterpflicht geltend und fand bei der Vorsitzenden Gehör. Das, rügte Bockemühl, sei nicht rechtens gewesen. Sein Antrag wurde - inzwischen waren zwei Stunden vergangen - von der Kammer zurückgewiesen.
Statt der eigentlich vorgesehenen Laienrichterin war ein Ersatzschöffe verständigt worden. Er sorgte für die Überraschung, die diesen Prozesstag endgültig platzen ließ. Als die Münchener Strafverteidigerin Ricarda Lang das Wort ergriff, um eine Verfahrenseinstellung (!) wegen eines unüberwindbaren Prozesshindernisses für ihren beschuldigten Mandanten zu beantragen, schloss der Ersatzschöffe erstmals an diesem Vormittag die Augen und schlummerte ein. Lang ging noch weiter in die Offensive (siehe Hintergrund), was den Mann erneut sichtlich ermüdete. Einschlafen während des Prozesses wäre allein schon ein Grund zum Abbruch des Verfahrens gewesen. Doch für den Schöffen kam es noch schlimmer. Er trug ein Abzeichen der Polizeigewerkschaft am Revers und benutzte einen Kugelschreiber gleicher Herkunft. "Ist der Mann Polizeibeamter?", wollten die Anwälte wissen und erfuhren: "Gewesen, seit einigen Jahren pensioniert."

Polizisten außer Dienst dürfen Schöffen sein. Das erwiderte die Kammervorsitzende und bekam eine weitere Breitseite der Verteidiger. Sie wollten nun wissen, welche Unterlagen der Mann während der Verhandlung gelesen habe. Wieder Unterbrechung, erneute Beratung, diesmal in Anwesenheit der Anwälte. Ergebnis: Es handelte sich um eine polizeiliche Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung. Damit war der Auftritt des Ersatzschöffen endgültig beendet. Das Gesetz verbietet richterliche Tätigkeiten für jemanden, gegen den ein Verfahren läuft.

Schöffe ist raus

Die Kammer schloss den Schöffen vom weiteren Prozessverlauf aus und brach die Sitzung ab. Und jetzt? Nachdem es Richterin Stöber telefonisch gelungen war, sofort für Ersatz zu sorgen, kann der Drogenprozess heute erneut beginnen. Von ganz vorne. Von Heroin war bisher nicht die Rede. Auch nicht von organisiertem Handel. Womöglich wird nun die Anklage verlesen. Sicher aber ist das nicht. Denn einer der Anwälte wandte sich schon an den Staatsanwalt: "Sie werden noch viel lernen müssen in diesem Verfahren." (Hintergrund)

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