Ambergerin zieht bis vor das Bundesverwaltungsgericht, um ihren Führerschein wiederzubekommen: Kämpfen durch alle Instanzen

05.06.2017 - 14:34 Uhr

Dass sie an diesem 14. Juni 2013 getrunken hat, bestreitet Elke F. (Name geändert) gar nicht. 1,28 Promille sprechen ja auch eine deutliche Sprache. Damit war ihr Führerschein erst einmal weg. Theoretisch "nur" für drei Monate. Tatsächlich wurden es aber fast vier Jahre.

Ist der Führerschein erst einmal weg, wird es in vielen Fällen äußerst schwierig, ihn wiederzubekommen. Eine Frau aus Amberg musste sogar bis vor das Bundesverwaltungsgericht gehen, um ihren Schein nach fast vier Jahren wieder in Händen halten zu können. Bild: Steinbacher

Von Andreas Ascherl

Es begann - wie meistens - völlig banal. Elke F., damals 70 Jahre alt, fuhr am 14. Juni 2013 mit ihrem Auto. Und sie hatte Alkohol getrunken - drei kleine Becher Klosterfrau Melissengeist (79 Prozent) mit Wasser und Zucker wegen eines Migräne-Anfalls, wie sie erzählt. "Gefahren bin ich übrigens auch nicht, mein Auto stand, als mir ein junger Mann hinten drauf gefahren ist." Das Gericht sah es später anders, es glaubte dem Unfallverursacher, der von der Sonne geblendet wurde und deshalb zu spät bremste. Er sagte aus, Frau F. sei gefahren, als es krachte.

Elke F. sitzt in der Kanzlei ihres Anwalts Rainer Rockenstein und erzählt diese Geschichte, die erst vor einigen Wochen ein für sie glückliches Ende genommen hat. Anfang April hat sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit ihrem Fall beschäftigt, der inzwischen für ganz Deutschland musterhaft geworden ist. Die entscheidende Frage bei dem Prozess lautete: Ab welcher Promillezahl und unter welchen Umständen darf die Führerscheinstelle von einem Alkoholsünder den Nachweis einer Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU), den sogenannten Depperltest verlangen?

Lange Jahre war es gängige Praxis, dass ein unbescholtener Ersttäter ab einer Grenze von 1,6 Promille zum Depperltest musste. Dann interpretierten Richter des Mannheimer Oberlandesgerichts den Paragrafen 13 der Fahrerlaubnisverordnung plötzlich anders und fanden eine MPU auch bei einem niedrigeren Wert durchaus für zulässig. Dieser Auffassung schlossen sich schnell andere Gerichte an - unter anderem das Bayerische Verwaltungsgericht.

1,1-Promille-Grenze

"Irgendwann kam die Weisung, dass auch ein Ersttäter über 1,1 Promille zur MPU muss", schildert Rainer Rockenstein den weiteren Fortgang. "Ein Wert, der übrigens völlig willkürlich festgelegt worden ist." Ein Wert vor allem, der seiner Mandantin noch schwer zu schaffen machen sollte. Ihr Führerschein war sofort nach dem Unfall sichergestellt worden, im März 2014 entschied das Amtsgericht, dass sie ihn nicht vor Ablauf von noch einmal drei Monaten wiedererlangen konnte. Damit war sie zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr ohne Führerschein.

Die eigentliche Überraschung habe dann auf sie gewartet, als sie ihren Schein nach Ablauf der Sperre bei der Führerscheinstelle holen wollte, erzählt Elke F. Den habe sie nämlich nicht bekommen - vielmehr sei ihr ein Schreiben zur Unterschrift hingelegt worden, dass sie zunächst eine MPU absolvieren werde. "Das habe ich natürlich nicht unterschrieben", sagt die heute 74-Jährige, der damals schon die 1,6-Promille-Grenze bekannt war. In der Zwischenzeit hatte sich in Bayerns Führerscheinbehörden offensichtlich aber einiges verändert, wie Anwalt Rainer Rockenstein erzählt.

Anfangs habe nämlich große Unsicherheit geherrscht, wie das jetzt mit der neuen 1,1-Promille-Grenze zu handhaben sei. "Letztendlich sollte das jede Führerscheinstelle für sich entscheiden. Da hat große Unsicherheit geherrscht und jede Stelle ein gewisses Eigenleben entwickelt." Die Amberger Führerscheinstelle habe im Fall von Frau F. einfach mal gar nichts getan, so Rockenstein. Weder sei offiziell eine MPU verlangt, noch seiner Mandantin der Führerschein ausgehändigt worden. "Erst als ich eine Untätigkeitsklage gegen die Stadt Amberg erhoben habe, hat die Führerscheinstelle ein MPU-Gutachten eingefordert."

Der Fall ging vors Verwaltungsgericht in Regensburg - dort verlor Elke F. zunächst. Gleiches passierte ihr anschließend beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. "Übrigens mit einer diametral entgegengesetzten Begründung", sagt Rockenstein. Beim großen Finale vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig holte Elke F. dann einen Sieg auf ganzer Linie. Das Gericht bestätigte die alte 1,6-Promille-Grenze. "Mit dieser Entscheidung herrscht auch wieder Rechtssicherheit."

Endlich Klarheit

Schon am nächsten Vormittag rief Rainer Rockenstein bei der Amberger Führerscheinstelle an und beantragte die Herausgabe des so lange entbehrten Dokuments. Vorbei ist die Geschichte aber noch lange nicht. Gerade prüft der Anwalt, ob er Schadenersatzansprüche für seine Mandantin geltend machen kann. Und er fordert vom Gesetzgeber Klarheit: "Gegen die Anordnung einer MPU gibt es kein Rechtsmittel. Das muss dringend geändert werden, denn damit hat die Führerscheinstelle die Autofahrer in der Hand. Das ist ein Daumen hoch und Daumen runter."

Elke F. jedenfalls hat ihren Führerschein wieder. Eine neue Batterie hat sie für ihren Wagen gebraucht, sonst läuft er ohne Probleme. "Der Schaden ist auch noch nicht repariert", sagt sie. Sie hat ihre Lehren aus diesem fast vierjährigen Drama gezogen: "Ich kann nur jedem raten, der in einer ähnlichen Situation ist: Du musst kämpfen durch alle Instanzen." Eine Rechtschutzversicherung müsse man dafür aber schon haben.

Hintergrund

In der Bewerbungsrede für seine Wiederwahl als berufsmäßiger Stadtrat Ende 2016 hatte Rechtsreferent Dr. Bernhard Mitko auch den Fall von Frau F. erwähnt. Die erinnert sich noch sehr gut an das, was er laut Bericht in der Amberger Zeitung dabei sagte. "Den Artikel habe ich heute noch daheim." Mitko habe nämlich behauptet, er führe derzeit - also Ende 2016 - einen Musterprozess in Sachen MPU. "Das stimmt aber überhaupt nicht", ärgert sie sich. "Wenn überhaupt, dann habe ich den Musterprozess gegen die Stadt Amberg geführt."

Ein Musterprozess war es aber allemal, wie auch das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in der entsprechenden Presseerklärung schreibt. Allerdings waren im Vorfeld der Entscheidung in Bayern bereits zahlreiche Führerscheinstellen von der gewünschten 1,1-Promille-Grenze abgewichen und auf die alte bei 1,6 Promille zurückgekehrt. So entschied beispielsweise die Weidener Behörde in einem Fall, der bei knapp über 1,1 Promille gelegen hatte, dem Betroffenen nach Ablauf der Sperrfrist für den Führerschein diesen zurückzugeben.

Die Stadt Amberg aber hielt an ihrer Linie fest. Vergebens, wie Rechtsanwalt Rainer Rockenstein feststellt. Für seine Kanzlei war das übrigens ein gutes Geschäft. Seither hat er schon einige weitere Klienten gefunden, denen es ähnlich ging wie Frau F. (ass)

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.