Nackt räkelt er sich unter einem Bettlaken. Sein Blick wirkt kühl, distanziert und empfindungslos. Schon diese Anfangsszene, projiziert auf einen überdimensionierten Bühnenvorhang, zeigt, wohin die Reise geht. Georg Schmiedleitner lässt sich bei seiner "Don Giovanni"-Inszenierung von Steve McQueens Spielfilm "Shame" aus dem Jahr 2011 inspirieren: Michael Fassbender spielt darin die Rolle des jungen sexsüchtigen New Yorker Geschäftsmanns Brandon, dessen Leben aus den Fugen gerät. Während Brandon aber nicht nur am Ende durchaus noch zu Emotionen fähig ist, mutiert der Nürnberger Giovanni immer mehr zum gefühllosen und menschenverachtenden Gewalttäter.
Keine Requisiten
Selten zuvor sah man Mozarts Dramma giocoso in zwei Akten derart dicht und eindringlich. Schmiedleitner nimmt die Textvorlage ernst und das Publikum mit auf eine Höllenfahrt in menschliche Abgründe. Während die Protagonisten in McQueens Film oft hinter Glas gezeigt werden, agiert Giovanni davor. Riesige Glasscheiben umgeben ihn, bilden quasi den Rahmen des Geschehens und spiegeln immer nur ihn: den Frauenhelden, Triebtäter und Vergewaltiger. Das radikal reduzierte Bühnenbild (Florian Parbs) treibt diese Zuspitzung zur Selbstinszenierung auf den Gipfel, indem auf jegliche Requisiten verzichtet wird. Den Raum, in dem der Dauerverführer wie in einem Gefängnis lebt, bezeichnet Schmiedleitner im Interview als "Spiegelhöhle und Spiegelhölle zugleich".
Die unterschiedlichen Rollen sind perfekt besetzt: Randall Jakobsh als Don Giovanni und Sébastien Parotte als dessen Diener Leporello geben sich in Sachen Gefühlskälte die Klinke in die Hand und faszinieren nicht nur beim humorvollen Rollentausch in Handschellen. Michaela Maria Mayer überzeugt als charismatische, bis in die Koloraturen treffsichere Donna Anna, Christiane Marie Riedl als quirlige Zerlina mit schlanker, natürlicher Intonation und Hrachuhí Bassénz als Donna Elvira, die sowohl in lyrischen als auch in temperamentvollen Passagen ihre Frau steht. Der Staatsphilharmonie unter der Leitung von Marcus Bosch gelingt dabei eine psychologisch-dramaturgische Charakterzeichnung. Schon die Ouvertüre in düsterem und dramatischem d-Moll lässt Motive der Rache und Vergeltung aufleuchten, die sich bis zum Ende dieser tragischen Oper durchhalten werden.
Eine echte "Stern"-Stunde
Der Schlusssatz des düsteren Stücks - "Am Ende kriegt jeder das, was er verdient" - trifft in einem Punkt nicht zu. Die wenigen Buhrufe, die Schmiedleitner für seine Regie erhält, sind völlig unverdient. Sein "Giovanni"-Konzept trägt in seiner konsequenten Nüchternheit bis zuletzt und erzielt eine Tiefe, die unter die Haut geht. Statt eines weltklugen Moralstücks bietet es Stoff zum Mitfühlen und Mitdenken - lakonisch, zynisch, zeitgemäß. Auch im Blick auf aktuelle Diskussionen über Sexismus setzt es einen denkwürdigeren Beitrag als so manch politisch platzierte Illustrierten-Story - nicht nur in Sachen Regiearbeit also eine echte "Stern"-Stunde!
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Die nächsten Aufführungen: 3. Februar um 19 Uhr, 12. und 16. Februar jeweils 19.30 Uhr, 24. Februar 15.30 Uhr.
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