Peter Handke feiert seinen 75. Geburtstag.: Ein Klassiker auf der Suche nach der verborgenen Schönheit

06.12.2017 - 08:41 Uhr

Am heutigen Nikolaustag wird Peter Handke 75 Jahre alt. Er könnte also langsam altersmilde und weise werden sowie die von vieler Gartenarbeit rauen Hände in den Schoß legen. Tut er aber nicht!

Der Übersetzer und Schriftsteller Peter Handke feiert am heutigen Mittwoch seinen 75. Geburtstag. Er gehört zu den bekanntesten zeitgenössischen österreichischen Autoren. Bild: Barbara Gindl/APA/dpa

Von Bernhard Setzwein Griffen. Nach wie vor vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht eine Buchnovität von ihm angekündigt wird. Im Wechsel erscheinen Tagebücher, zuletzt "Vor der Baumschattenwand nachts", Theaterstücke ("Immer noch Sturm" und "Die schöne Tage von Aranjuez") und dazwischen, wenn's ihm gefällt, einen ziegelstein-dicken Roman. Vor wenigen Wochen erst "Die Obstdiebin" (Suhrkamp Verlag, 34 Euro), ein 560-seitiges Epos, das Handke im vergangenen Sommer in nur vier Monaten handschriftlich mit Bleistift zu Papier gebrachte.

In diesem neuen Buch echauffiert er sich wieder herrlich über den "modernen Menschen" und die Auswüchse unseres reizüberfluteten Lebens zwischen Smartphone und Internet. Die "erdrückende Mehrheit der Zweibeiner, gemeinhin ,Menschen' genannt", sei längst zu einem Heer der Unerreichbaren geworden, schreibt er: "Nichts wundert sie. Nichts macht sie aufhorchen. [...] Sie haben Ohren und Augenmerk für rein gar nichts auf Erden."

Was kann man da tun? Die abgestumpften Zeitgenossen noch einmal in die Grundschule des genauen Hinsehens, Hinhorchens und Hinfühlens schicken. Genau das tun Peter Handkes Bücher. Seit dem Roman "Langsame Heimkehr" (1979) verfolgt der Autor einen Weg, der skandalös unzeitgemäß ist. Er beschrieb ihn in seiner Dankesrede zum Franz-Kafka-Preis so: "Ich bin auf Schönheit aus; ja, auf Klassisches, Universales, das nach der Praxislehre der großen Maler erst in der steten Naturbetrachtung und -Versenkung Form gewinnt."

Ein Satz nach dem anderen

Handke sucht das Schöne in komplett unspektakulären Gegenden, direkt vor der eigenen Haustüre. So auch im neuen Roman, "Die Obstdiebin". Der Erzähler des Ganzen bricht in Chaville auf, einem Vorort von Paris, in dem Handke selbst seit 27 Jahre wohnt und den er im Roman "Mein Jahr in der Niemandsbucht" zu Weltliteratur gemacht hat. Diesmal geht's in die 150 Kilometer entfernte Picardie, ein Landstrich nordwestlich von Paris, wo sich Handke vor einigen Jahren ein altes Bauernhaus gekauft hat.

Nach den Maßstäben üblicher Touristenbetrachtung eine sterbenslangweilige Gegend. Verwaiste Haltebahnhöfe, trostlose Bistros, in denen niemand Gast sein mag. Sogar der allgegenwärtige französische Staat hat sich von hier zurückgezogen, ist nicht mehr erkennbar, "nicht hier, nicht jetzt, nicht heute, und, Gott oder wer geb's, auch noch nicht morgen". Drei Tage ist die namenlose Obstdiebin, eine junge Frau auf der Suche nach ihrer Mutter, in dieser Gegend unterwegs. Von ihrem Vater, einem Hobby-Geologen, wird sie noch eingestimmt auf den Weg und auf die beste Art und Weise, ihn zurückzulegen. Natürlich zu Fuß. "Suchen, innehalten, rufen, rennen, die Wälder, die kleinsten, vor allem die, durchstöbern, die Hauptstraßen, die Städte, die Weiler, vor allem die, peinlich genau in Augenschein nehmen."

Und wie das Gehen, so auch das Schreiben. Einen Satz hinter den anderen setzen. Nichts sonst anschauen, als die Wohlgeformtheit dieser oft sehr langen Satzperioden. Peter Handke betont immer wieder, dass er jedes Buch völlig planlos beginne. Er lässt sich einfach treiben. Genau das sollte der Leser möglichst auch tun.

Wandel des Autors

Er wird belohnt werden mit einem seltenen Leseabenteuer, das in der heutigen, vom Krebsfraß des uferlosen Krimi-Schunds völlig beherrschten Bücherwelt nicht mehr zu existieren scheint. Es wird berichtet von Lesern, die Handke regelrecht verfallen sind, ein Leben lang. Wo gibt es das, dass ein Literaturfreund einen Autor 50 Jahre lang lesend begleitet? Und regelrecht von ihm umgekrempelt wird. Bei dem Kritiker und früheren BR-Kulturjournalisten Peter Hamm war es so. Er hat jetzt seine gesammelten Aufsätze zu Peter Handke veröffentlicht, "Peter Handke und kein Ende" (Wallstein Verlag, 164 Seiten, 20 Euro). Im Untertitel heißt es "Stationen einer Annäherung", weil es genau das auch war: Am Anfang, in den bewegten Zeiten der Studentenrevolte Ende der 1960er Jahre, war Hamm noch sehr kritisch gegenüber Handke eingestellt, dem er vorwarf, allzu selbstgefällig die Pose des Sprachhülsenkritikers einzunehmen. Doch der Autor wandelte sich, und sein ihn begleitender Leser auch.

Ein vielleicht noch enthusiastischerer Handke-Leser ist Lothar Struck. Der Mann kommt - anders als Hamm - keineswegs aus der Germanisten- und Literaturkritikerzunft, sondern handelt in seinem Berufsleben mit Chemikalien. Nichtsdestotrotz wurde er von Handkes Literatur in einem Maße ergriffen, das ganz außergewöhnlich ist. Er begann einen Internetblog (www.begleitschreiben.net), auf dem er über den von ihm äußerst akribisch studierten Autor schreibt.

Im Feuilleton erwarb sich Struck überdies den Beinamen "der Mann, der alles über Handke weiß". Und vor allem auch über dessen Bücher, sein Schreiben und Argumentieren bleibt immer ganz nah am Text. Nachzulesen in "Erzähler, Leser, Träumer. Begleitschreiben zum Werk von Peter Handke" (Mirabilis-Verlag, 224 Seiten, 34 Euro). Mit diesen Handke-Scouts im Gepäck lässt sich dann noch einmal die Fährte in der "Obstdiebin" selber aufnehmen, ein Buch, das unbedingt zur nochmaligen Lektüre einlädt. Und wenn man darin verloren geht, macht es auch nichts! Denn es gilt der Satz von der letzten Seite des Romans: "Wie man sich verirrt hat, so erlebt man."

Ich bin auf Schönheit aus; ja, auf Klassisches, Universales.

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