Aiwanger kann Misstrauen gegen seine Person „nachvollziehen“

19.09.2023 - 15:38 Uhr

„Ich kann diese Reaktion sehr gut verstehen, es waren ja harte Vorwürfe“, sagt Bayerns Vize-Ministerpräsident. Dem Ganzen vorangegangen war sein Verhalten im Zusammenhang mit einem antisemitischen Flugblatt.

Hubert Aiwanger verlässt den bayerischen Landtag nach einer Sondersitzung zu den Vorwürfen gegen ihn im Zusammenhang mit einem Flugblatt mit antisemitischem Inhalt.

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger kann verstehen, dass ihm viele Menschen nach der Flugblatt-Affäre nicht mehr trauen.

„Natürlich kann ich das nachvollziehen“, sagte der Chef der Freien Wähler und bayerische Wirtschaftsminister der „Jüdischen Allgemeinen“. Ebenso könne er nachvollziehen, dass die KZ-Gedenkstätten in Bayern keine öffentlichen Veranstaltungen mit ihm machen wollten und auch dass die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft in Bayern und Deutschland entsetzt gewesen sei über den Umgang mit den Vorwürfen zur Entstehung des antisemitischen Flugblatts.

„Ich kann diese Reaktion sehr gut verstehen, es waren ja harte Vorwürfe. Aber ich konnte mich eben bezüglich der Urheberschaft des scheußlichen Papiers nicht entschuldigen, weil ich es nicht war“, sagte Aiwanger. Weitere Erwartungen an seine Person, etwa demütiger zu sein oder keine Wahlveranstaltungen mehr abzuhalten, „hätten aber auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes denen in die Hände gespielt, die die Veröffentlichungen nach meiner Einschätzung absichtlich genau zu Beginn der Briefwahl platziert haben, um mir und den Freien Wählern zu schaden“.

Aiwanger weist Vorwürfe erneut zurück

Aiwanger nutzte das Interview erneut, um alle Vorwürfen gegen seine Person im Zusammenhang mit dem antisemitischen Flugblatt aus seiner Schulzeit sowie zu dessen Entstehung zurückzuweisen. Er sei nie ein Judenhasser gewesen, betonte er.

Aiwanger erklärte auf Nachfrage der Zeitung, auch die kritische Reaktion der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, „bestens nachvollziehen zu können“. Knobloch hatte erklärt, sie habe zwar Aiwangers Anruf entgegengenommen, nicht aber dessen Entschuldigung. „Ich suche natürlich weiterhin das Gespräch. Tatsächlich habe ich Anfragen von zwei israelitischen Kultusgemeinden aus Bayern zum Gespräch erhalten, die ich gerne annehmen will.“

Aiwanger: „Zerrüttetes Vertrauen wieder aufbauen“

Daneben werde er sich aber noch vor der Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober mit Zentralratspräsident Josef Schuster treffen. „Wenn möglich diskret, um die sensible Thematik nicht zum Spielball des Wahlkampfs in Bayern zu machen. Und auch nach der Wahl werde ich nichts unversucht lassen, zerrüttetes Vertrauen wieder aufzubauen“, sagte Aiwanger.

Ein antisemitisches Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit hatte kürzlich in Bayern einen großen Skandal ausgelöst. In der Folge hatte sich Aiwangers Bruder als Verfasser geoutet, dennoch wurden weitere Vorwürfe zu Aiwangers früherem Verhalten erhoben. Nach mehreren Tagen entschuldigte er sich, beklagte aber zugleich eine Kampagne gegen sich. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich gegen eine Entlassung ausgesprochen. In Umfragen erleben die Freien Wähler seither einen regelrechten Höhenflug.

Aiwanger-Interview der Jüdischen Allgemeinen

© dpa-infocom, dpa:230919-99-252291/3

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A. Schmigoner

Ministerpräsident Markus Söder spricht unaufhörlich davon, dass Bayern in allen Bereichen Spitze sei, während sein Stellvertreter bei der wirtschaftlichen Situation Bayerns ein Endzeitszenario ausmalt, in dem die braven, fleißigen Handwerker gezwungen sind das Land zu verlassen, weil sie keine Zukunft mehr für sich sehen. Was denn nun? Aiwanger hintertreibt mit seinen Parolen die Bestrebungen der hiesigen IHK´s und Handwerkskammern, ausländisches Kapital, Investitionen und Fachkräfte anzuwerben und schadet damit dem Ruf Bayerns. Die Metapher von jungen, fleißigen, einheimischen Fachkräften, die aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation vor Ort gezwungen sind das Land zu verlassen ist übrigens keineswegs eine Erfindung Aiwangers, sondern wird von vielen rechtsextremen Parteien in Europa propagiert (z.B. von Giorgia Meloni bis zu ihrem Wahlsieg in Italien). Die Erzählung wird so oder ähnlich immer wieder als Beleg der angeblichen Verschwörung vom „Großen Bevölkerungsaustausch“ (Great Replacement) vorgetragen, der von „den Eliten“ geplant werde.
Aiwanger schlägt als Minister den Ton „eines wütenden Oppositionspolitikers“ an, obwohl er seit 5 Jahren die Nr. 2 der Staatsregierung ist und teilweise die Vorgaben der eigenen FW-geführten Ministerien beklagt. Professor Theocharis, von der TU München, befand zu Aiwangers Diskussionsstil, dass nur wenige Politiker „diese Art von Sprache im Alltag“ benutzten. Eine „beleidigende und hitzige Rhetorik“ sei „typischerweise das Merkmal von Politikern mit extremeren Positionen“ und diene dazu, „die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“ und diese würden sogar zur „Verrohung der Diskussionskultur“ beitragen.
„Wichtig ist, dass die Leute Selfies wollen“, Aiwanger beschreibt seinen politischen Fokus selbst, wie es treffender kein politischer Analyst feststellen könnte. Sollte sich Aiwanger nicht vorrangig um Wirtschaftspolitik und deren Rahmenbedingungen kümmern, Werbung machen für den Wirtschaftsstandort? Stattdessen beschallt Aiwanger im Stile eines Trachten-Trump landauf, landab die Bierzelte, Kiwa´s, Volks- und Dorffeste mit Halbwahrheiten oder mitunter auch mit Lügen. „Ständiges Lügen wird in Deutschland zum Mittel der Politik gemacht, von Menschen wie Markus Söder und Hubert Aiwanger. Gern mit Verweis auf »Traditionen« und »Heimat«. Dabei rollt auf diese »Heimat« gerade ein Desaster zu, schreibt Prof. Stöcker. Während Aiwanger noch den Klimawandel leugnet, fordern Bauern bereits staatliche Unterstützung wegen der Folgen des Klimawandels!
Die bayerischen IHK´s haben 9 Punkte und Forderungen der Wirtschaft zur Landtagswahl verfasst, welche nochmals in zahlreiche Untertitel untergliedert sind, die als nur leicht verklausulierte Kritik am aktuellen Wirtschaftsminister verstanden werden müssen. Die IHK-Themen (Fachkräftemangel, Windkraft, Bürokratie, komplizierte Förderverfahren usw.) spielen jedenfalls keine große Rolle in den bäuerlich-provinziellen Bierzeltreden Aiwangers, obwohl viele dieser Themen in sein Ressort fallen würden. Die international agierenden Konzerne und Unternehmen im Exportland Bayern fühlen sich jedenfalls vom schrillen Aiwanger nicht vertreten und meiden seine Nähe (Motto bei der IAA: Ja nicht aufs Bild mit Aiwanger). Die Absagen der wichtigsten bayerischen Konzerne beim Staatsempfang zur IAA sprechen für sich. Auch Aiwangers Hetze gegen E-Autos und Wärmepumpen kam nicht überall gut an, zumindest nicht bei den bayerischen Unternehmen, die diese Produkte verkaufen möchten. Wo bleibt hier die gerne propagierte „Technologieoffenheit“ der bayerischen Staatsregierung? Der Markt der Wärmepumpen brach jedenfalls ein.
Was tut Aiwanger für seine treuesten Anhänger, die „kleinen Leute vom Land“? Er beschließt ein bayerisches Grundsteuergesetz mit, dass explizit den ländlichen Raum gegenüber besten Grundstückslagen benachteiligt. Er redet den Leuten ein, die Abschaffung der Erbschaftssteuer entlaste den „kleinen Mann“ (95 % der Erben des elterlichen Hauses zahlen in Bayern bereits jetzt keine Erbschaftssteuer!). Prof. Münch hierzu: „Auch Aiwangers ökonomische Ideen, sei es zur Erbschaftssteuer oder zum Steuerfreibetrag – das ist alles nicht zu finanzieren. Das interessiert Aiwanger aber nicht.“
Zu allem Überfluss sollte der Trinkwasserschutz in Bayern zugunsten wirtschaftlicher Interessen von Lebensmittelkonzernen und der Landwirtschaft aufgeweicht werden, als ein gemeinsamer Antrag von CSU und FW im Wirtschaftsausschuss eingebracht wurde.
Erst ein gemeinsamer und in dieser Form einzigartiger Verbändebrief von Bayerischer Städtetag, Bayerischer Gemeindetag, DVGW, VBEW und VKU-Landesgruppe Bayern, verhinderte die Aufweichung des Trinkwasserschutzes in Bayern!
Es drängt sich der Verdacht auf, dass Aiwanger hitzige Bierzeltreden besser beherrscht, als gute Politik für Wirtschaft und den „kleinen Mann“.

20.09.2023