Aiwanger-Berichterstattung treibt einen Leser um

Deutschland und die Welt
15.09.2023 - 08:46 Uhr

Die Flugblatt-Affäre, das ganze Drumherum und dann noch Gillamoos mit Aiwanger, Söder & Co. – tagelang stand die politische Berichterstattung im Vordergrund. Die hat nicht jedem gefallen.

Ankunft von Hubert Aiwanger beim politischen Frühschoppen Gillamoos.

Es war die Ausgabe vom 5. September, an der Leser E. B. einiges auszusetzen hatte. In dem Aufmacher auf der ersten Zeitungsseite kam Jörg Skriebeleit zu Wort, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Die Redaktion hatte ihn zum Flugblatt aus Hubert Aiwangers Schultasche befragt. Die Seite zwei war komplett dem politischen Gillamoos in Abensberg vom Montag, 4. September, gewidmet und vor allem Aiwangers Auftritt bei diesem Heimspiel in Niederbayern. In der Randspalte der Seite: Zitate und Sprüche vom Gillamoos.

E. B. veranlasste dies zu folgender Mail an die Redaktion: „Sie zitieren je 1 x Herrn Merz und Herrn Söder und 5 x das links/grüne Lager. Sie schreiben in einem großen Artikel, Herr Skriebeleit arbeitet heraus und kritisiert Aiwanger, der angeblich den gesellschaftlichen Diskurs beschädigt. Sie vertiefen den Vorgang mit Aiwanger, um die Gemüter vor der Wahl am Glühen zu halten und Sie schreiben mit keinem einzigen Wort, dass 72 Prozent der bayerischen Wähler Söders Entscheidung für richtig halten. Sie schreiben kein Wort über den denunzierenden Lehrer nach über 35 Jahren oder über dessen Charakter – sein Hilferuf ist ihm reichlich spät eingefallen. Solche Lehrer habe ich mir immer gewünscht. Gut, dass wir alle in unserer Schulzeit nur ,weiße Westen‘ anhatten – oder? Wie war das noch mit der journalistischen Neutralität?“

Ich ließ Leser E. B. wissen, wie ich die Sache sehe. Die Seite, so schrieb ich ihm in meiner Antwort, „,gehört‘ zu 80 Prozent Hubert Aiwanger, auf den, wie es zu Beginn des Artikels richtigerweise heißt, an diesem Montag alles geblickt hatte. Dazu auf 20 Prozent der Seite Zitate und Sprüche. Von jeder, ich betone, jeder Partei: CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP, AfD. Vielleicht hätte man sich einmal Grün sparen können. Insgesamt aber: Ausgewogenheit, meiner Ansicht nach.“

"Natürlich wundert man sich"

Das, was Skriebeleit sagt, sei im Zusammenhang mit der Flugblatt-Affäre von Bedeutung, teilte ich dem Leser mit. "Es ist legitim, ihn als Leiter einer KZ-Gedenkstätte zu dem antisemitischen Machwerk zu befragen. 3Sat hatte das auch getan, wie im Text erwähnt."

E. B. hatte davon gesprochen, dass 72 Prozent der bayerischen Wähler Söders Entscheidung, Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, für richtig halten würden. Mir sei diese Größe so nicht bekannt, entgegnete ich B. und ergänzte: "Ich habe indessen gelesen, dass laut einer Umfrage 58 Prozent der Befragten die Söder-Entscheidung für richtig halten. Über den Wert und die Aussagekraft solcher Umfragen kann man wiederum geteilter Meinung sein."

Das gelte im Übrigen auch für den erwähnten ehemaligen Lehrer Aiwangers: "Natürlich wundert man sich darüber, dass das Flugblatt 35 Jahre später und just vor einer Landtagswahl wieder aus der Versenkung hervorgeholt wird. Andererseits hat es einen Inhalt, über den man sicherlich nicht diskutieren kann."

Um noch einmal aufzuzeigen, was in dem Flugblatt steht, fügte ich meiner Mail ein Foto davon an und betonte meinen Standpunkt dazu: "Ich denke, dass man so etwas beileibe nicht als Jugendsünde abtun kann. Das hat nichts mehr mit Schulzeit/weißer Weste zu tun."

Kein Neutralitätsgebot

Abschließend ging ich auf die von B. angeschnittene "journalistische Neutralität" ein und unterstrich, dass ich mich hier den Worten der Journalistin und Autorin Rita Stiens anschließe, die in einem entsprechenden Beitrag einmal geschrieben hat: "Dass das Wort neutral nicht im Pressekodex vorkommt, hat einen guten Grund. Wer sollte der Schiedsrichter sein bei der Frage, ob ein Artikel neutral ist oder nicht? Partei-Repräsentanten sind schon gar keine ,neutralen' Betrachter und Beurteiler, denn sie betrachten die Dinge naturgemäß durch die parteiliche Brille. Was der eine für ,neutral' hält, ist für den anderen alles andere als ,neutral'. Wie sähe ein neutraler Bericht aus einer ein- oder zweistündigen Ratssitzung aus? Gäbe es so etwas wie Neutralität, müssten zwei oder drei Journalisten, die in einer Sitzung sitzen, am Ende nahezu identische Artikel schreiben mit nahezu identischer Überschrift. Ein Neutralitätsgebot für Medien gibt es nicht und kann es auch gar nicht geben. Journalisten tragen durch ihre Arbeit zum Prozess der Meinungsbildung bei, und genau das sollen sie auch."

"Nicht mein Menschenbild"

Von unserem Leser E. B. erreichte mich darauf folgende Reaktion: "Wie Sie richtig feststellen, gibt es immer unterschiedliche Betrachtungsweisen. Über das Flugblatt kann man nicht geteilter Meinung sein, aber vielleicht über die Art und Weise, so etwas vor einer Wahl von einem Lehrer auszukramen, nur um einem Menschen größtmöglich zu schaden. Was ist das für ein Charakter - und der hat Kinder erzogen! Für mich ist das schon eine Frage, wie Journalismus so etwas aufgreift. Sicher haben Sie Recht, dass das mit Neutralität nichts zu tun hat. Sicher haben Sie inzwischen auch zur Kenntnis genommen, dass 58 Prozent der Bundesbürger und 72 Prozent der bayerischen Bürger die Entscheidung von Herrn Ministerpräsident Söder für richtig halten." E. B. endete mit der Anmerkung: "Menschen Zeit ihres Lebens wegen eines Fehltrittes - soweit er überhaupt geschehen ist - zu verfolgen, um ihn im späteren Berufsleben zu vernichten, passt nicht in mein Menschenbild."

Bayern26.05.2023
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