Man könnte sagen: kleines Foto, große Wirkung - zumindest für eine unserer Leserinnen. Es geht um ein Bild, mit dem die Sportredaktion den abgedruckten Spielplan der Fußball-WM visuell etwas auflockern wollte. Zugegeben: Der abgebildete Fan aus Ghana macht schon ein recht "wildes" Gesicht in seiner Freude über den Sieg gegen Südkorea. Weshalb uns Christine G. mailte: "Was hat man sich bei der Veröffentlichung des ,Fanbilds' in der Ausgabe vom 29. 11. 2022 auf Seite 26 gedacht? Was sollte dem Leser mit diesem Bild vermittelt werden? Als langjähriger Abonnent dieser Zeitung empfinde ich Scham."
Es sei in letzter Zeit "leider des Öfteren passiert", schreibt Frau G., "dass ich mich an Bildern gestört habe, nicht nur an dem auch schon von anderen Lesern angesprochenen Kunstspringerinnen-Bild, sondern u. a. auch an halbe Seiten umfassenden Bildern von Politikern (Seitenfüller? Werbung?) oder, was der Gipfel war, an einem den Großteil der dritten Seite des Hauptteils ausfüllenden Bild eines verurteilten Querdenkers." Das, macht die Leserin deutlich, "wirkt zum Teil schon recht plump und vergällt zumindest mir die Zeitungslektüre".
Kurz antworten oder ausführlich? Ich entschied mich, nachdem die Auswahl von Fotos in der Zeitung manchen Leser doch ziemlich zu beschäftigen scheint, wie sich in jüngster Vergangenheit zeigte, für eine sehr ausführliche Antwort mit Blick auf verschiedene Aspekte. Klar ist: Fotos auf einer Zeitungsseite sind das, wo die Menschen zuallererst hinschauen. Und klar ist auch: Viele Bilder wecken bei Lesern Emotionen. Eines gleich vorweg: Ich tue mich schwer, bei dem Bild von dem Ghana-Fan die Meinung von Christine G. zu teilen, ihre Kritik an ihrer Ansicht nach oft einen Tick zu großen Bildern kann ich aber durchaus nachvollziehen.
Diskussionen unter den Kollegen
Wer fällt denn überhaupt die Entscheidung, welches Foto es in die Zeitung schafft? Es ist die jeweilige Redaktion, wobei das letzte Wort immer der Chefredakteur hat. Vor der Auswahl stehen redaktionelle Abwägungen, und nicht selten wird im Kollegenkreis ausgiebig und durchaus kontrovers diskutiert, ob ein Foto tatsächlich den Lesern präsentiert werden sollte, man es vielleicht doch lieber weglassen oder ein anderes Motiv wählen sollte, wenn es denn vorhanden ist.
Ethische Überlegungen können ebenfalls mit in den Auswahlprozess einfließen. Und, das will ich gar nicht von der Hand weisen, persönliche Einstellungen und Vorlieben. Was dem einen Kollegen gefällt, muss nicht im Sinne des anderen Kollegen sein. Und das ist auch gut so. Eine Redaktion muss nicht einer Meinung sein, für die tägliche Arbeit sind unterschiedliche Positionen nicht unwichtig.
Kommt es auf die Größe eines Fotos an? Ja, das hatte ich schon in einem früheren Beitrag für die Leseranwalt-Seite geschrieben. Ein Foto - immer vorausgesetzt, es hat Qualität - gibt einer Zeitungsseite den nötigen Schliff, wenn ihm das Format "erlaubt" wird, das es für das Entfalten seiner Wirkung auf den Betrachter braucht. Ob als "Schmuckbild" mit einer kuriosen, witzigen oder einfach schönen Alltagsszene. Oder als zum Artikel zugehöriges Bild, das als visuelle Unterstützung fungiert, um das Interesse auf den Bericht und dessen Inhalt zu lenken. Eine Erkenntnis aus der Leserforschung: Ein Artikel, der mit einem auffälligen Bild "garniert" ist, weckt deutlich größeres Leserinteresse für einen Text.
Seite braucht einen Blickfang
Die Mischung aus guten Fotos und guten Texten macht also eine gelungene und modern gestaltete Zeitung aus. Ich verweise an dieser Stelle gerne auf den renommierten deutschen Zeitungsdesigner Norbert Küpper, der den europäischen Zeitungs-Wettbewerb "European Newspaper Award" veranstaltet. Er hat unter anderem gesagt: "Bildschnitt und Bildgröße sorgen für Modernität. Gute Inhalte brauchen gute ,Eyecatcher'." Heißt übersetzt: Sie brauchen einen Blickfang. Die Zeiten, in denen es genügte, "nur" in Texten zu denken, sind Küper zufolge längst vorbei. Gute Texte müssten unbedingt mit guten optischen Anreizen angeboten werden.
Gelungen oder nicht, das ist oft Geschmackssache. Das Bild vom Querdenker, das Leserin Christine G. in dieser Größe nun gar nicht gefiel, hätte auch in meinen Augen deutlich kleiner ausfallen können und seinen Zweck auch so erfüllt. Auch mir, da halte ich nicht hinterm Berg, ist manches Foto in unserem Blatt zu groß geraten. Grundsätzlich lässt sich sagen: Früher fanden sich auf einer Zeitungsseite oft drei in etwa gleich große Bilder. Heutzutage arbeitet man in der Regel mit einem die Seite dominierenden Bild und (nach Möglichkeit) mit dem einen oder anderen deutlich kleineren Bild. Wer beispielsweise durch die Süddeutsche Zeitung blättert, findet dort ebenfalls zum Teil sehr große Bilder.
Uns ist natürlich bewusst, dass nicht jeder Leser mit dem Ergebnis unserer Bildauswahl einverstanden ist. Der Ghana-Fan ist für mich eines der vielen Gesichter dieser Fußball-Weltmeisterschaft, nicht mehr, nicht weniger. Eine Momentaufnahme der Wirklichkeit. Das Foto muss und kann nicht jedem gefallen, erfüllt aber seine Funktion.
Die Funktionen von Bildern
In diesem Zusammenhang möchte ich Prof. Dr. Sonja Kretzschmar vom Institut für Journalistik der Bundeswehr-Universität München erwähnen, die die verschiedenen Funktionen von Bildern folgendermaßen erläutert hat:
- Die Informationsfunktion: Bilder liefern zusätzliche Informationen zum Textteil.
- Die Erlebnisfunktion: Bilder vermitteln das Gefühl, ein Ereignis miterleben zu können (Augenzeugenfunktion).
- Die Emotionalisierungsfunktion: Bilder können Gefühle und Stimmungen eindrücklicher produzieren als Texte.
- Die repräsentative Funktion: Abbildung von relevanten Hauptpersonen/Objekten.
- Die Erläuterungsfunktion: Bilder dienen der Veranschaulichung von Inhalten.
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