Mehrere Frauen haben schwere Vorwürfe gegen Till Lindemann (60) erhoben. Die Rede ist von Machtmissbrauch, von sexuellen und körperlichen Übergriffen auf Konzertbesucherinnen. Daraufhin setzte sich der Sänger der Band Rammstein juristisch gegen die Anschuldigungen zur Wehr, er engagierte die auf Medienrecht spezialisierte Kanzlei Schertz Bergmann (Berlin). Behauptungen, Frauen seien bei Konzerten von Rammstein mithilfe von K.-o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um Lindemann zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können, seien „ausnahmslos unwahr“, hieß es in einer Presseerklärung der Anwälte. Sie kündigten an, wegen der Anschuldigungen rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einzuleiten.
Rechtliche Schritte angekündigt
Lindemanns Anwälte kritisierten auch die Medienberichterstattung. Sie vertraten die Auffassung, dass es in vielen Fällen zu einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung gekommen sei: "So wurde nicht nur versäumt, hinreichend Beweistatsachen zu recherchieren und zusammenzutragen, sondern zudem auch gegen die Vorgabe verstoßen, ausgewogen und objektiv zu berichten. In fast allen Fällen fand eine nachhaltige Vorverurteilung zulasten unseres Mandanten statt, was im Rahmen einer Verdachtsberichterstattung unzulässig ist. Schließlich wurde wiederholt versäumt, eine Stellungnahme unseres Mandanten einzuholen." Gegen die, die gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstoßen hätten, werde man "umgehend rechtlich vorgehen".
Anwältin: Berichten ist möglich
Die Medienrechts-Anwältin Dr. Stefanie Schork hielt im Berufsnetzwerk LinkedIn dagegen. Schork, nach eigenen Angaben bereits im Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (Referat Sexualstrafrecht, Rechtsextremismus, Doping, Kriminalstatistik) tätig, schrieb: "Die öffentlich gewordenen Schilderungen sind so deutlich geeignet, einen hinreichenden Mindestbestand an Tatsachen zu begründen, dass sich niemand daran gehindert sehen muss, über die Vorwürfe zu berichten."
Mittels K.-o.-Tropfen oder mit Alkohol sollen Frauen nicht gefügig gemacht worden sein, so weit reiche das Dementi der Lindemann-Anwälte, aber auch nicht weiter. "Dass eine ,Casting-Direktorin' über Jahre systematisch Frauen herbeigeschafft habe, die dem Sänger zur sexuellen Verfügung gestellt worden sein sollen, wird nicht bestritten", hob Schork hervor und fügte hinzu: "Das betrifft wegen des unmittelbaren Bezugs zu Show und Partys drumherum auch weder dessen Privat- noch Intimsphäre. Zudem setzt sich Lindemann zum ersten Statement der Band in Widerspruch, in dem diese erklärt hat, dass die Frauen ihre Sicht der Dinge darlegen können dürften. Darin liegt eine Selbstöffnung, die Lindemann sich entgegenhalten muss. Schließlich hat er sein Sexualverhalten schon zigfach selbst zum Gegenstand seines öffentlichen Wirkens gemacht."
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sah in den Aussagen der Anwaltskanzlei Schertz Bergmann einen "Einschüchterungsversuch gegenüber recherchierenden Medien". Für DJV-Bundesvorsitzenden Frank Überall war die Drohung "der Versuch, Medien einen Maulkorb anzulegen". Überall wies darauf hin, dass Verdachtsberichterstattung durchaus zulässig sei, wenn sie sich an Spielregeln halte: "Dazu gehören unbedingt Fakten." Dass sich der Rammstein-Sänger in Schweigen hülle, verhindere bekanntlich Berichterstattung nicht, solange weitere glaubwürdige Informationen vorlägen.
Medien sollten sich von der Presseerklärung der Lindemann-Seite nicht einschüchtern lassen, appellierte Überall und unterstrich: "Die Vorwürfe gegen den Frontmann einer der bekanntesten deutschen Bands sind so schwerwiegend, dass sie recherchiert und berichtet werden müssen."
Das ist zu beachten
Auf der Homepage der Initiative Tageszeitung (ITZ) haben Juristen zusammengefasst, was bei einer zulässigen Verdachtsberichterstattung unter anderem zu beachten ist:
1. Der Verdacht müsse von öffentlichem Interesse sein.
2. Es müsse ein Minimum an Beweistatsachen geben, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. Der Verdacht müsse zusätzlich durch objektive, belegbare Indizien und Tatsachen begründet sein - etwa der Überweisungsbeleg, der im Korruptionsfall gefunden wurde.
3. Der Betroffene müsse zu den Vorwürfen gehört worden sein und seine Stellungnahme müsse sich in ihren wichtigsten Punkten im Bericht wiederfinden. Ist der Beschuldigte nicht zu sprechen, beispielsweise weil er sich durch Untertauchen entzieht, genüge es, wenn der Journalist nachweisen kann, dass er sich rechtzeitig und ernsthaft um eine Stellungnahme bemüht habe.
4. Alle erreichbaren Quellen müssten ausgeschöpft werden.
5. Alle entlastenden Tatsachen müssten mitgeteilt werden.
6. Der Bericht müsse den Vorwurf mit journalistischer Distanz wiedergeben, um jede Vorverurteilung zu vermeiden. Der Text müsse deutlich zwischen Verdacht und bewiesener Schuld unterscheiden.
Wenn der Verdacht unwahr ist
"Sind diese Anforderungen erfüllt, so ist der Bericht zum Zeitpunkt seiner Verbreitung rechtmäßig", unterstreicht die ITZ. Auch wenn der Verdacht sich später als unwahr herausstellen sollte, kämen ein Widerrufsbegehren oder eine Schadensersatzforderung nicht infrage. Auch eine Richtigstellung könne - wie der Bundesgerichtshof im November 2014 entschieden habe - nicht gefordert werden. Stattdessen könne aber bei späterer Ausräumung des Verdachts und Fortwirken der Beeinträchtigung durch die Berichterstattung vom Presseorgan eine nachträgliche Mitteilung (Nachtrag) verlangt werden, dass nach Klärung des Sachverhalts der berichtete Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde.
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