Hyperinflation 1923 in der Oberpfalz: Die Städter verelenden – und die Bauern machen Party

Oberpfalz
14.09.2023 - 15:19 Uhr
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Während der Hyperinflation vor 100 Jahren kostete die Mass Bier in Tirschenreuth 200 Milliarden Mark. Die Menschen litten Not. In der Oberpfalz war die Situation aber nicht überall so schlimm. Manche feierten zu der Zeit "Feste über Feste".

Die wütenden Reaktionen waren zu erwarten, als der Preis für die Mass Bier auf dem Frühlingsfest in Sulzbach-Rosenberg Ende April diesen Jahres bekannt gegeben wurde. Von "Gier" schrieben aufgebrachte Menschen in den Sozialen Medien, von "Wahnsinn", von "Wucherpreisen". Die Mass, sie kostete heuer 10,40 Euro, vor einem Jahr waren es noch 8 Euro. Der Bierpreis, er sorgt verlässlich für Ärger – freilich auch in Zeiten der Inflation. Gilt für heute und für damals.

Schon vor rund 100 Jahren, im September 1921, hieß es im Halbmonatsbericht des Oberpfälzer Regierungspräsidenten, dass eine Bierpreiserhöhung "viel böses Blut" erzeugte, erklärt der Historiker und Publizist Manfred Krapf aus Regensburg. Das Bier war den Leuten zu teuer geworden. Zwei Jahre später war alles noch viel schlimmer. In Tirschenreuth, notierte Chronist Johann Brunner, kostete am 20. November 1923 eine Mass Bier 200 Milliarden Mark. Das sind eine Zwei und ganz viele Nullen, um genau zu sein elf Nullen – 200.000.000.000 Mark für einen Liter Bier. Es war der Höhepunkt der Hyperinflation in Deutschland und auch in der Oberpfalz.

Die Hyperinflation 1923 war eine Spätfolge des Ersten Weltkriegs. Weil das Deutsche Reich den langen und teuren Krieg verloren hatte, hatte die Weimarer Republik zu Beginn der 1920er Jahre gigantische Schulden – sowohl bei den Siegermächten, an die man Reparationen zahlen musste, als auch bei der eigenen Bevölkerung, die in Kriegsanleihen die Kosten für den Krieg vorgestreckt hatte. Als man im Januar 1923 Probleme mit den Rückzahlungen hatten, besetzte Frankreich das Ruhrgebiet. Die Deutschen reagierten mit passivem Widerstand, Streik – und der Notenpresse. Die Löhne der Streikenden wurden von der Regierung weiter gezahlt. Geld ohne Ende wurde gedruckt. Immer mehr, ein Teufelskreis begann. Bald war die Mark nichts weiter als: Spielgeld.

Gehalt: 5 Billionen Mark – pro Tag

Die Reichsbank konnte die Oberpfalz nicht mehr mit ausreichend Bargeld versorgen. So mussten die Städte selbst einspringen und eigenes Ersatzgeld drucken. In Amberg unterzeichnete der damalige Bürgermeister Eduard Klug die Ausgabe der ersten Scheine zu 1000 Mark. Die Beträge stiegen von Tag zu Tag, aus Millionen wurden Milliarden. Der höchste Nennwert des Amberger Notgeldes war 10 Billionen Mark, ausgestellt am 1. November 1923.

Auf dem Höhepunkt der Hyperinflation verdiente ein Kumpel der im Schwandorfer Raum tätigen Bayerischen Braunkohlen-Industrie 5 Billionen Mark – pro Tag. Und hatte trotzdem nichts davon. Das Geld, das damals in Kisten, Schubkarren und Schubladen transportiert wurde, war nichts wert.

Laut den Notizen des Tirschenreuther Chronisten Brunner zahlten die Menschen in der Stadt am 20. November 1923 für ein Ei 80 Milliarden Mark, für eine Kreuzersemmel waren es 20 Milliarden Mark. In Regensburg kostete Mitte Dezember ein Pfund Schwarzbrot 200 Milliarden Mark, erklärt Historiker Krapf, der im Herbst ein Buch über die Oberpfalz in der Weimarer Republik veröffentlicht.

Die Situation war im ganzen Land ähnlich, es gab aber "bayerische Besonderheiten", sagt Krapf, die auch für die Oberpfalz galten. Die Region sei damals – mit ein paar städtisch-industriellen Ausnahmen – stark landwirtschaftlich geprägt gewesen. "Grundsätzlich", so der Regensburger Historiker, "waren die Städte stärker betroffen als die ländlichen Gebiete." Die großen Städte waren "nahezu vollständig auf die Lieferung der Nahrungsmittel angewiesen". Die Hyperinflation habe vorrangig den Mittelstand getroffen, aber nicht die Bauern. Konflikte waren vorprogrammiert.

"Sogar Fahnenweihen gefeiert"

Die Landwirte, so Krapf, machten die Städter für die "Auswüchse beim sogenannten Hamstern" verantwortlich. Die Bauern umgingen derweil die staatlichen Ablieferungspflichten. Das Bezirksamt Kemnath vermerkte im Juni 1923 eine "ganz bedenkliche Notlage des Mittelstandes, während in landwirtschaftl. Kreisen eine solche nicht verspürt wird, sogar da und dort Feste über Feste, Fahnenweihen gefeiert, Tanzmusiken veranstaltet werden". Derweil herrschte "größte Mißstimmung über die ungeheuerliche und unerträgliche Teuerung aller Lebensmittel und sonstigen Gegenständen des tägl. Bedarfs", hieß es in dem Bericht weiter. Die Landwirtschaft gehörte "offensichtlich zu den Nutznießern dieser Zustände", sagt Krapf. Und ab und zu auch zu den Opfern. Einem Gutsbesitzer aus der Nähe von Schwandorf seien im Oktober 1923 mehr als 2000 Zentner Kartoffeln gestohlen worden.

Auf dem Höhepunkt der Inflation im November 1923 wurde eine neue Währung eingeführt, die Rentenmark, die wieder an reale Werte gebunden war. Auch die Reparationen wurden neu verhandelt. Bis es besser wurde, dauerte es allerdings seine Zeit. Aber es wurde besser, die Situation stabilisierte sich, die Wirtschaft erholte sich. Mitte der 1920er war Deutschland wieder zahlungsfähig. Die Hyperinflation hinterließ trotzdem ihre Spuren.

In der Oberpfalz hatten die Menschen weiter zu kämpfen, erklärt Historiker Krapf. Das traf auch die Bauern. Die Sparkassen konnten keine Kredite geben, weil es ihnen an Einlagen fehlte, schrieb das Bezirksamt Vohenstrauß 1924. Das Geld, das vorher unnützerweise im Überfluss vorhanden gewesen war, war nun knapp geworden.

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Parkstein14.09.2023
Hintergrund:

Der Mass-Bier-Preis in Tirschenreuth

  • April 1920: 1,20 Mark
  • Februar 1922: 4 Mark
  • Oktober 1922: 42 Mark
  • November 1922: 72 Mark
  • Januar 1923: 600 Mark
  • Juni 1923: 1800 Mark
  • August 1923: 30.000 Mark
  • September 1923: 800.000 Mark
  • 18. September 1923: 1.500.000 Mark
  • 1. Oktober 1923: 8.000.000 Mark
  • 15. Oktober 1923: 20.000.000 Mark
  • 26. Oktober 1923: 300.000.000 Mark
  • 31. Oktober 1923: 3.000.000.000 Mark
  • 20. November 1923: 200.000.000.000 Mark
 
 

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