Die Totengräber-Wirklichkeit ist eben keine heile Welt

Oberpfalz
25.03.2022 - 08:20 Uhr

Manchmal trifft die Sprache der Berichterstattung nicht jedermanns Geschmack. Das zeigt eindrucksvoll die Geschichte von den Totengräbern.

Manchen Lesern gingen die ersten beiden Teile der Mini-Serie über die Sulzbach-Rosenberger Totengräber zu sehr ins Detail.

Mit der Überschrift wurde gleich deutlich, dass es hier um ein ungewöhnliches und heikles Thema ging: "Tote in Gruften und Skelette im Erdreich: Die Totengräber von Sulzbach-Rosenberg". Der Artikel, erschienen am 2. März in der "Sulzbach-Rosenberger Zeitung", war der Auftakt einer dreiteiligen Mini-Serie. Folgende Passage in dem Text ließ erahnen, was da auf die Leser zukommen sollte: "Drei Stunden lang erzählte der immer noch agile Chef (Peter Christinger, Anm. d. Red) gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Daniel Eckl und Sandra Englmeier - die zugleich Christingers Tochter ist - in geradezu schauriger Detailtreue über die Arbeit auf dem Sulzbacher, dem Rosenberger und dem Waldfriedhof. Schnell wird klar: Fast alles in dem Beruf dreht sich um Tod und Sterben, Leichen und Knochen, Särge und Gruften, Angst und Grusel-Momente."

Letztere gab es dann reichlich im zweiten Teil der Serie (Schlagzeile: "Rülpsende Leichen und Maden im Fleisch: Schreckmomente der Totengräber"), veröffentlicht am 4. März. Darin hieß es unter anderem: "Wir hatten mal einen Toten, der lag sechs Tage lang zu Hause in seinem Bett - und zwar auf seiner eingeschalteten Heizdecke. (...) Der war wirklich durch." Im Leichenhaus habe es später bestialisch gestunken ("Wir haben uns Gasmasken von der Feuerwehr ausgeliehen, weil wir es nicht mehr ausgehalten haben"). Anschließend kam die Leiche in die Kühlkammer. Doch der Horror sei damit nicht vorbei gewesen: "Aus dem Schlüsselloch der Kühlkammer sind plötzlich Maden herausgekrochen. Die hatten sich ins Fleisch der Leiche eingefressen, und in der Kammer wurde es ihnen zu kalt. Das waren richtig fette Brummer, die Maden, ekelhaft."

Das sagt eine Leserin

"Im Namen vieler privater Anrufer und Zeitungsleser der SRZ, auch von Nachbarn und von meiner Familie", beschwerte sich eine Sulzbach-Rosenbergerin über diese Art der Berichterstattung. In einer Zeit mit vielen Corona-Toten, mit Berichten über die Toten des Ukraine-Krieges und mit Blick auf Verstorbene in den Familien "kann man diese Zeilen etwas pietätvoller (ohne Maden und Fliegen) schreiben", befand die Frau in ihrer Mail und gab zu bedenken: "Nicht jeder, der gerade einen Verwandten, ein Kind oder einen Freund verloren hat, mag in dieser Situation dieses Bild vor Augen haben. Bitte sagen Sie das dem jungen Berichterstatter."

Das sagt der Leseranwalt

"Dass sich mancher Leser an diesem Bericht stört, kann ich durchaus verstehen", antwortete ich der Leserin aus Sulzbach-Rosenberg. Weiter schrieb ich ihr: "Ob eine Berichterstattung unpassend, unangebracht ist, ist ja meist eine individuelle Einschätzung. In einer Zeitung stehen mitunter Dinge, die einem nicht gefallen (müssen). Journalistisch gesehen ist an dieser Mini-Serie wenig zu beanstanden, vielleicht geht sie manchmal tatsächlich zu sehr ins Detail. Doch so wie hier beschrieben, sieht nun mal die tägliche Arbeit auf dem Friedhof aus. Der Tod gehört zum Leben. Wenn man die schwere und psychisch sicher belastende Arbeit der Totengräber beschreiben will, dann muss man Dinge auch beim Namen nennen. Ich denke, dass die meisten Leser bisher nicht wussten, was Totengräber alles erleben und zu erzählen haben."

An dieser Stelle möchte ich ergänzend hinzufügen: Nie werden alle Leser mit den Inhalten einer Zeitung einverstanden sein. Ausschnitte aus dem realen Leben können schmerzen, Wirklichkeit ist eben nicht nur heile Welt. Diese Mini-Serie ist insgesamt Lokaljournalismus, wie er sein soll: Der Autor rückt das Außergewöhnliche, das Ungewöhnliche in den Vordergrund. Er beschreibt den Alltag der Totengräber, lässt sie zu Wort kommen und von ihren Erlebnissen erzählen. Natürlich hat sich der Autor in dieser Mini-Serie einer Sprache bedient, die polarisiert. Die Sprache macht hier deutlich, womit die Totengräber täglich konfrontiert sind. Ich möchte betonen, dass dies alles meine persönliche Meinung ist. Durchaus möglich, dass das mancher Kollege anders sieht. Abschließend fällt mir im Zusammenhang mit den Totengräber-Artikeln noch der Leitspruch von "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein ein, der da lautete: "Sagen, was ist."

Das sagt Autor Tobias Gräf

Dass eine Leserin an den teils gruseligen Details der Serie zu den Totengräbern Anstoß nimmt - ich kann es ihr nicht übelnehmen. Auch mir als Reporter lief mehrmals ein kalter Schauer den Rücken herunter, als mir im Leichenhaus über mehrere Stunden hinweg die Friedhofsmitarbeiter von ihrer alltäglichen Arbeit mit Toten erzählt haben. Doch nicht nur darum scheint es zu gehen. Die Kritik zielt schließlich auf die, vermeintlich oder tatsächlich, fehlende Pietät in der Berichterstattung, welche sich, nach Meinung der Zeitungsleserin, besonders durch die zeitliche Überschneidung mit dem Krieg, dem Leid und dem aktuell tausendfachen Sterben in der Ukraine ergebe.

Hier wiederum stellt sich mir die Frage: Kann es einen "perfekten" Zeitpunkt für eine Berichterstattung über Totengräber geben? Vor dem Ukraine-Krieg dominierten zwei Jahre lang Artikel über das meist qualvolle Ersticken von Corona-Infizierten auf überfüllten Intensivstationen die Seiten der Zeitungen. Der dramatische Vulkanausbruch auf La Palma, die Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban-Terroristen, der Krieg von Diktator Assad gegen das eigene Volk in Syrien, mutmaßliche chinesische Verbrechen gegen die Menschlichkeit in China - die Welt produziert täglich Schreckensnachrichten. Sollte uns das, darf uns das von eigenen Berichten, die Tod und Sterben thematisieren, abhalten? Die Diskussion darüber ist zwar legitim. Ich jedoch finde: Eine Zeitung wird ihrem Anspruch an Vielfalt, Relevanz und Lebens- und Wirklichkeitsnähe nicht gerecht, wenn sie sich in ihrer eigenen Themensetzung einschränken lässt durch Negativ-Nachrichten, die es leider täglich gibt und die es immer geben wird. So gesehen wird ein Bericht über Totengräber immer "unpassend" oder "pietätlos" sein.

Auch sollte folgender Aspekt bedacht werden: Rechtfertigt das Empfinden einzelner Leser, dass sich der Autor als Zensor betätigt und die Kernaussagen der Totengräber, welche jene nun mal in schonungsloser Offenheit getätigt haben, herausstreicht und damit abschwächt?

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