Bremsiger SSV Jahn Regensburg lässt Preußen Münster keine Chance : Zum Abgang der doppelte Grüttner

Regensburg
17.12.2016 - 21:07 Uhr

4012 Zuschauer bestaunen bei klirrenden Temperaturen das formvollendete Weihnachtsgeschenk des SSV Jahn: ein kaum gefährdetes 3:1 gegen überforderte Münsteraner, scheißhausfliegennervige Regensburger von der ersten bis zur letzten Minute – mehr noch, in spielerischer Leichtigkeit herausgespielte Chancen und als Abgang schon wieder der doppelte Grüttner!

Typisch für das Weihnachtsspiel gegen Preußen Münster: Chaos im Strafraum von SC-Keeper Max Schulze Niehues, Erik Thommy und Marco Grüttner können hier noch kein Kapital daraus schlagen. Bild: Herda

Man möchte gar nicht zu Ende denken, wo der Aufsteiger aus der Oberpfalz kurz vor Weihnachten stünde, hätte er jedes Spiel mit dieser Verve angegangen, wäre Marco Grüttner von Anfang an so treffsicher gewesen. Nach 8 Siegen, 8 Niederlagen und 3 Unentschieden steht der SSV im einigermaßen gesicherten Mittelfeld (11./27 Punkte) – 7 Punkte vor Wehen-Wiesbaden (18.) auf dem ersten Abstiegsplatz und nur 5 Punkte hinter dem VfL Osnabrück (3.) auf dem Relegationsplatz zur Zweiten Liga.

1:3 in Mainz (20./14 Punkte), 0:4 in Zwickau (19./16), 1:3 in Bremen (17./21), 0:1 gegen Erfurt (15./21) – und ein 2:3 in Lotte (9./28) nach 2:0-Führung ... Man muss bei diesen 5 machbaren Aufgaben gar nicht mal vom „best case“ ausgehen. Aber schon mit knapp der Hälfte der gegen diese schlagbaren Teams verblödelten Punkte, 7 von 15, wäre der SSV Jahn punktgleich mit dem MSV Duisburg Tabellenführer. Andererseits: Ist doch schön, wenn für Heiko Herrlich noch Arbeit bleibt, oder?

Möhlmann: „Der SSV ist weiter als wir“

„Der SSV hat verdient gewonnen“, lässt Benno Möhlmann keinen Zweifel daran, dass seine Preußen heute nicht schnell genug schossen. „Wir haben es in den ersten 20 Minuten gut geschafft, von der Defensivarbeit den Gegner vom Tor wegzuhalten. Wir haben leider die Bälle zu schnell wieder verloren und wenig konkrete Gefahr zum gegnerischen Tor bringen können – das war schade in der Phase.“ Danach sei das Spiel druckvoller geworden, vor allem weil Münster zu viele Fehler gemacht habe. „Wir konnten in der Phase zufrieden sein, dass wir nur 0:1 zurücklagen.“

In der Zweiten Halbzeit sei seine Mannschaft nochmal zurückgekommen – nicht nur erwartungsgemäß auf den Platz, sondern mit dem Elfmeter sogar zum Ausgleich. „Wir haben insgesamt kein gutes Spiel gemacht, weil wir einfach in der Gesamtheit nach vorne nicht zwingend genug waren.“ Durch einen Fehler habe man dann das 2:1 ermöglicht. „Der Gegner hat einfach schneller reagiert.“ Auch dem 3:1 sei ein unnötiger Ballverlust vorausgegangen.

„Wir haben gesehen, Sie haben’s auch gesehen, dass der SSV etwas weiter ist als wir – das Spiel nach vorne ist bei uns einfach nicht so durchdacht, so zwingend und nicht so erfolgreich, wie’s der SSV zumindest heute gezeigt hat.“

Herrlich: „Gefühltes 3:0 zur Pause“

„Ich habe eine sehr gute Leistung bei meiner Mannschaft gesehen“, verrät Jahn-Trainer Heiko Herrlich. „Wir haben uns vor dem Spiel vorgenommen, Münster nicht ins Spiel kommen zu lassen, hoch zu verteidigen, sie permanent zu pressen – das ist uns eigentlich ganz gut gelungen.“ Darüber hinaus habe man sich ein deutliches Chancenplus erarbeitet: „Es war ein gefühltes 3:0.“ In der Pause habe er bei dem knappen Ergebnis auf die Gefahr hingewiesen, dass Münster noch mal alles geben würde, um das Spiel zu drehen.

„Das ist ihnen dann auch gelungen“, sagt er mit Blick auf den Elfmeter zum 1:1. „Kann man geben“, sagt Herrlich zögernd, „er unterläuft ihn leicht.“ Man habe sich erst mal wieder sammeln müssen, aber dann habe man gemerkt, dass die Mannschaft unbedingt mehr wolle. „Wir hatten irgendwann ein Eckenverhältnis von 9:2 – so war es eigentlich folgerichtig, dass wir noch die beiden Tore machen.“

Marco Grüttner, die Empfehlung von Co-Trainer Harry Gfreiter, trifft weiter: „Vorher hatte er eine Szene, die er nicht macht aus fünf Metern“, tadelt Herrlich, bevor er lobt: „Jetzt hat er in der Vorrunde 8 Tore gemacht.“ Er messe Stürmer aber nicht nur an ihren Treffern: „Das Wichtigste ist, wie er hier als Teamplayer auftritt, wie er absolut Führungsspieler ist und für die Mannschaft arbeitet.“

Mutproben für den SC-Keeper

Nach dem 3:0 in Chemnitz und dem Zufriedenheitslevel von Jahn-Trainer Heiko Herrlich war klar: Es gibt wenig Änderungsbedarf im Team, lediglich Andi Greipl, für den Benedikt Saller Platz machen muss, rotiert zurück in die Startelf. Beide Mannschaften beginnen hochmotiviert. Marc Lais versucht einen Lupfer über den ersten Verteidigungswall auf Jann George, der bleibt hängen. Pusch rutscht der zweite Ball vom weißen Adidas-Schuh (4.). Dann bringen sich die Gäste selbst in Kalamitäten: Zu kurzer Rückpass von Sandrino Braun auf Keeper Maximilian Schulze Niehues, George und Grüttner fast noch am Ball, spektakulärer Fall des SC-Keepers über ein Stürmer Bein (5.).

Doch allmählich übernimmt Münster das Zepter: Der lange Jeron Al-Hazaimeh langt noch weit daneben (6.). Sinan Tekercis Kopfstoß ist zu schwach, um Philipp Pentke aufzuscheuchen (7.). Das sollte man dennoch nicht machen: Marvin Knoll foult am rechten Strafraumeck, aber Michele-Claudio Rizzi rutscht weg (9.). Das gleiche Spiel an der linken Strafraumkante: weit drüber (11.).

George als Scheißhausfliege „in lead“

Keiner verkörpert das Auf und Ab der Regensburger Leistungskurve besser als Aufstiegsheld Andi Geipl: Nach engagiertem Ballgewinn folgt wenig später der unnötige Ballverlust im Mittelfeld – schneller Konter, aber Pentke ist rechtzeitig vor Tobias Warschewski aus dem Kasten (14.). Marc Lais mit vorbildlichem Ballgewinn am großen Kreis. Die Regensburger spielen anders als gegen Erfurt ihre Spielzüge voll aus, auch wenn’s mal über 27 Stationen geht.

Jann George hat sich Herrlichs Scheißhausfliegen-Appell besonders zu Herzen genommen:

  • Erst versucht er es mit Distanzschuss aus 18 Metern halblinks – einen Meter übers rechte Toreck (19.).
  • Dann spritzt er dazwischen, bleibt hängen, verletzt sich leicht.
  • Schließlich die Belohnung für die permanente Vorwärtsverteidigung: Erik Thommy bleibt beim Passversuch hängen, Oli Hein schnappt sich die Kugel, flankt von rechts außen nach innen, George ist zur Stelle und drückt die Kugel über die Linie, 1:0 (26.).

Chancen für das „gefühlte 3:0“

Freistoß halblinks von Thommy, Münster bekommt den Ball nicht weg, die zweite Flanke von rechts auf Nachreiner, daneben (29.). Da ist sie mal wieder die Gelegenheit für Kolja Pusch, seine Zweitliga-Ambitionen zu untermauern – die 20 ist durchgebrochen, läuft auf den Keeper zu, wartet aber so lange mit dem Abschluss, bis ein Schwarz-Grüner zur Ecke klären kann (30.).

Neeeein, was ist das denn? Wieder ein gefährlicher Rückpass auf den Keeper, der kann die Kugel nicht festhalten, Grüttner im Duell mit zwei Feldspielern auf der Linie … angeschossen, Thommy im zweiten Versuch, wieder rettet ein Westfale auf der Linie, im dritten Versuch gibt’s die Ecke. Die kommt gut, Grüttner am langen Pfosten, Schulze Niehues kratzt die Kugel von der Linie – so kommt eben nur ein „gefühltes“ 3:0 zustande – das waren Chancen für zwei Spiele (31.).

Münster übt Freistoß

Und es geht munter weiter, nach Einwurf versucht es Geipl vom Strafraumeck, der Keeper ist am Posten (34.). Münster sucht und findet viele Freistöße über Schwalbenkönig Tobias Rühle auf der rechten Seite – die Hans-Jakob-Tribüne tobt. Die Preußen können mit den Geschenken von Schiri Johann Pfeifer bislang wenig anfangen – Rizzi zielt hoch und scharf auf die Birne, Kerze ins Aus (39.).

Auf seiner Seite spielt der SSV seine Chancen Klasse aus – Geipl, Hein und Erik Tommy kombinieren sich sehenswert vor den preußischen Strafraum, wieder Ecke (41.). Pusch und Sebastian Mai steigen beide hoch, Mai tut sich weh, Pusch sieht Gelb – überzogen (44.).

Rot-Weiß giftig wie ein Fliegenpilz

Münster muss jetzt zulegen. Stattdessen erstmal ein couragierter Ballgewinn von Hein, der George schickt – die Flanke gerät etwas zu weit. Thommy versucht es auf der anderen Seite – das kann er besser (46.). Der Trainer hatte gewarnt: Ein 1:0 bleibt ein Ergebnis auf Messers Schneide, auch wenn man das Spiel noch so dominiert – Hein nach Tritz-Flanke mit dem auffälligen Schubser gegen den früh eingewechselten Edisson Jordanov direkt neben dem Pfeifer, und da muss man sich nicht wundern: Pfiff und Fingerzeig auf den Punkt.

Rizzi verwandelt den Strafstoß unten links, 1:1 (48.). Gleich Im Gegenzug schauläuft Thommy durch die Abwehrreihe, legt für Grüttner auf, der rutscht beim Schuss aus 17 Metern etwas weg. Der Jahn jetzt giftig wie ein Fliegenpilz. Pusch zieht in den Strafraum, wird kurz davor gelegt, nur Einwurf. Nandzik läuft ebenfalls ab durch die Mitte aufs Tor zu, Ecke – Powerplay des SSV, jetzt muss er sich halt auch belohnen (51.).

Druck wie von der Boa

Eine Boa Constrictor könnte nicht mehr Druck entwickeln: Erst faustet Schulze Niehues Puschens Freistoß aus 30 Metern halbrechts seitlich mit den Fäusten weg, dann Lais mit dem Fallrückzieher fast von der Grundlinie in des Keepers Arme (55.). Achte Ecke für den Jahn, Grüttner köpft aus fünf Metern drüber (58.). Der Jahn pflügt durch den gegnerischen Strafraum, als ob hier das Bauteam Tretzel eine neue Großbaustelle errichten will. Nur das Tor bleibt wie vernagelt (60.).

Auf der anderen Seite bringt es Münster zur ersten selbst erspielten Chance in Hälfte 2: Warschewski dringt tollkühn in den Strafraum ein, Pentke pariert gewohnt cool im und bei 1:1 (67.). Pusch einmal mehr zu eigensinnig – erst dribbelt er zielstrebig in den Strafraum, dann verheddert er sich. Immerhin die 9. Ecke, die nichts einbringt (70.).

Chapeau Marco!

Fast schon aufreizend, wie jeder Jahn-Spieler unbedingt sein Solo im gegnerischen Strafraum und das lange Bein des Gegners sucht, um wenigstens den Konzessionselfer zu erzwingen. Aber auch Geipl läuft sich im Münsteraner 16 mal 40 fest (73.). Wow, das wär’s gewesen, Oli Hein mit dem ganz langen Ball von rechts, Grüttner mit dem Kopf, aber Schulze Niehues bringt die Faust dazwischen. Und dann ist es doch passiert: Da nörgeln wir seit Monaten an den Ausschüssen von Torwarttitan Pentke rum, und dann kullert seine Vorlage an Freund und Feind vorbei auf Grüttner – und der lupft die Kugel ganz frech aus 15 Metern über den omnipräsenten SC-Keeper zum 2:1 ins Netz (76.) – Chapeau Marco (kleinstes Gedicht der Welt)!

Weil‘s so schön ist: Endlich knüpft Alex Nandzik an der Vor-Hertha-Leistung an – der Dämpfer nach dem Anschiss zum Jubelsolo scheint überwunden. Der blonde Wirbelwind erbeißt sich die Kugel in der eigenen Hälfte, wieselt auf und davon, bringt das Leder mustergültig nach innen, und da kann nur einer sein: Grüttner hechtet das Ding zum 3:1 in die Maschen (81.). Der Rest ist coole Routine: Der SSV schenkt dem Gast bis zur letzten Sekunde keinen halben Meter Raum, und Schiri Pfeifer beendet deshalb das für Münster aussichtslose Spiel pünktlichst.

Vertragsverlängerung bis 2036?

„In 20 Jahren werde ich wahrscheinlich nicht mehr hiersitzen“, holt Heiko Herrlich nach einer langen und vollständigen Dankesrede für jeden einzelnen Akteur im Jahn-Tross aus – „wäre schön, aber die Vergangenheit hat nicht gezeigt, dass es ein Trainer hier so lange schafft“, sagt er kichernd.

„Den Verein wird es immer noch geben, das Stadion wird es immer noch geben, die Fans wird es immer noch geben – wir sind letztendlich Diener vom Verein und haben eine Aufgabe zu erfüllen und jeder einzelne muss das vorleben.“ Dies sei sein Erfolgsrezept, das er bei erfolgreichen Vereinen so erlebt habe. Also dann, Herr Keller: Vertragsverlängerung bis 2036!

 
 

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