Herr Professor, welche Rolle spielt die Psychologie beim Autonomen Fahren? Eine sehr große. Aus meiner Sicht wird die entscheidende Frage sein: Wer hat letztlich die Verantwortung für das Fahrzeug? Was geschieht, wenn der Fahrer plötzlich eingreifen muss? Zeitung lesen beim Fahren? – Das ist illusorisch. Studien aus der Psychologie zeigen, dass der Fahrer immer „in the loop“ sein muss. Das bedeutet, der Fahrer muss stets wissen, was passiert. Schauen Sie sich doch einmal weltweit den Schienenverkehr an, der doch viel einfacher zu automatisieren sein sollte als der straßengebundene Verkehr. Selbst hier verlässt man sich in letzter Konsequenz auf den Menschen. Das hat seine Gründe. Allein rechtlich stellen sich große Probleme. Es kommt darauf an, abschließend zu klären, was die Maschine besser kann als der Mensch, was der Mensch besser als die Maschine. Ein Automatisierungsbefürworter würde argumentieren: Die Maschine kann alles besser. Das würde aber voraussetzen, dass alle Verkehrsteilnehmer und auch die Infrastruktur automatisiert sind. Das ist aber nicht der Fall. Automatisiertes Fahren kann eine Teilmenge betreffen, also zum Beispiel den Verkehr auf einem definierten Autobahnabschnitt. Ab selbst hier kann nicht alles automatisiert sein, auch hier würde es eine Koexistenz von autonomen und konventionellen Fahrzeugen geben.
Wäre diese Koexistenz von autonomen und konventionellen Fahrzeugen denn ein Problem? In bestimmten Verkehrssituationen, wie etwa auf Autobahnen, ist sie möglicherweise realisierbar. Am sogenannten „Intelligent Highway“ hat man in den USA ja schon in den 90er Jahren geforscht. Aber auch hier gibt es, wie gesagt, große Probleme. Woran kann das autonome Fahrzeug erkennen, ob ein anderes Fahrzeug autonom oder konventionell gesteuert wird? Lässt sich das einwandfrei bestimmen? Und wenn nicht, was wenn das konventionelle Fahrzeug „unlogisch“ reagiert? Das gilt natürlich auch umgekehrt. Ein automatisiertes Fahrzeug verhält sich anders, als der Fahrer das gewohnt ist. Probleme treten auch auf, wenn ein Wechsel von autonomer Steuerung hin zu konventioneller Steuerung stattfindet, also zum Beispiel wenn ein Fahrzeug an der Autobahn ausfährt, also einen autonomen Streckenabschnitt verlässt, und der Mensch wieder übernehmen soll. Hier besteht ein erhöhtes Unfallrisiko. Wir haben herausgefunden, dass der Mensch selbst in konventionellen Fahrzeugen nach dem Verlassen der Autobahn Geschwindigkeiten falsch einschätzt und zu schnell unterwegs ist. Bei einem Wechsel von autonomer zu konventioneller Steuerung dürfte das noch viel stärker ins Gewicht fallen. Solche Konflikte sind nur lösbar, wenn die gesamte Verkehrsinfrastruktur automatisiert ist.
Muss der Fahrer demnach immer „in the loop“ sein? Meines Erachtens ja. Die amerikanische Wissenschaftlerin Lisanne Bainbridge hat schon in den 80er Jahren in „The Ironies of Automation“ auf das Phänomen der „Overconfidence“ hingewiesen, also auf die Gefahren, die das blinde Vertrauen auf die Technik mit sich bringt. Denken Sie an den Autofahrer, der in einen Kanal gefahren ist, weil er Warnschilder ignorierte, da das Navigationssystem in diese Richtung wies und vermeintlich ja nicht irren konnte. Tatsächlich ging das System davon aus, dass der Mensch solche Warnhinweise wie das Verkehrsschild erkennt und richtig deutet. Fehlfunktionen und Falschinterpretation von Technik lassen sich nie ausschließen.
Also keine schöne neue Verkehrswelt? Dass der technische Fortschritt viele Verbesserungen mit sich bringt, ist unstrittig. Denken Sie an die Entwicklung bei den Fahrerassistenzsystemen. Eine automatisierte Situationserkennung könnte zum Beispiel einen eingehenden Telefonanruf unterdrücken, wenn das Verkehrsgeschehen erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Anderes Beispiel: Schon heute können Traktionskontrollsysteme dabei helfen, Unfälle zu vermeiden. Die Frage ist immer, wie arbeiten Mensch und Maschine zusammen. Wir haben auf diesem Gebiet viel geforscht, zum Beispiel mit Fahrsimulatoren. Wir haben das Blickverhalten der Fahrer verfolgt, uns gefragt, wie der Mensch auf Zusatzbelastungen reagiert, wie etwa schreiende Kinder auf dem Rücksitz. Unser Fazit: Assistenzsysteme können zusätzliche Sicherheit schaffen, der Fahrer muss aber „in the loop“ bleiben.
ÜberschriftProf. Dr. Alf Zimmer (72) beschäftigt sich am Institut für Psychologie der Universität Regensburg unter anderem mit Fragen aus Verkehr, Telematik und der Interaktion von Mensch und Maschine. Der emeritierte Professor für Ingenieurs-Psychologie und langjährige Rektor der Universität Regensburg (2001 bis 2009) war unter anderem im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums tätig und berät heute Unternehmen aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie.
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