Angetrunkene Männer im Dirndl, Frauen mit Schleier und Bauchladen und dazu meist plakative Botschaften wie "Letzter Tag in Freiheit": Feuchtfröhliche Junggesellenabschiede sind ein alltäglicher Anblick in deutschen Innenstädten. Immer mehr Wirte sind jedoch genervt von den zumeist lauten, alkoholisierten Gruppen und verweigern ihnen den Einlass. In Regensburg hat der Kneipier Martin Stein eine Initiative gestartet, der sich mehr als ein Dutzend Wirte anschloss. Motto: Junggesellenabschiede müssen draußen bleiben.
Beliebtes Ziel für Junggesellen auf Abschiedstour
Regensburg ist ein besonders beliebtes Ziel für Junggesellen auf Abschiedstour. Im Internet geben zahlreiche Seiten Tipps für das kollektive Feiern in der mittelalterlichen Altstadt - die immerhin zum Weltkulturerbe der Unesco gehört. Anwohner und Touristen finden die Saufspiele meist jedoch wenig lustig. Und in Wirtshäusern, Bars und Cafés würden Kunden von den grölenden Gruppen verschreckt, sagen die Wirte.
Initiator Martin Stein hat für die Entwicklung der Junggesellenabschiede deutliche Worte gefunden: "Über die Jahre hinweg ist aus einem letzten Aufbäumen vor der Ehe eine Olympiade der Peinlichkeiten, der Aggression und der Zerstörungswut geworden», schreibt er auf seiner Facebook-Seite. Auf den Umsatz durch die Feiernden verzichten die Wirte gerne, denn: «Jeder Euro Umsatz scheint drei Euro zerstörtem Mobiliar zu entsprechen."
Beim Hotel- und Gaststätten-Verband (Dehoga) in München ist das Problem bekannt. Auch in anderen Städten, etwa in München, Düsseldorf, Bayreuth oder Bamberg, gibt es Gastronomen, die Junggesellenabschieden den Einlass verweigerten. Regensburg sei da kein Einzelfall, sagt ein Sprecher. "Die Gruppen konsumieren zwar viel, aber machen auch zu viele Probleme." Und die Wirte hätten ja letztendlich auch eine Verantwortung den Betroffenen gegenüber. Denn sichtbar Angetrunkene dürften sie auch gar nicht einlassen.
"Niedrigschwellige, laienschauspielartige Performanz"
Dem Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder zufolge geht es den Gruppen vor allem darum, eine historische, traditionsreiche Kulisse zu haben, vor der sie schöne Bilder produzieren könnten. Und zum anderen gehe es ihnen anderen darum, ein Publikum zu finden für ihre "niedrigschwellige, laienschauspielartige Performanz". Die falle allerdings meist nicht so aus, dass es wirklich peinlich wäre, sondern man traue sich da, wo sich das Publikum nicht mehr wundert.
"Um in Regensburg oder in Köln jemanden zu schockieren, muss man etwas anderes tun, als sich einen lila Hut aufzusetzen oder als Mann ein Röckchen zu tragen", sagt Hirschfelder. Mit Passanten ein Gläschen Schnaps trinken zu wollen oder Kondome zu verkaufen, sei nichts, womit sich der Bräutigam wirklich lächerlich mache und keine markante Grenzüberschreitung. So gesehen seien Junggesellenabschiede eher harmlos. "Das ist eine mittlere und untere Mittelschicht des suburbanen und des ländlichen Raumes. Das sind keine Futureshaper. Das ist nicht der Innovationskegel von Gesellschaft."
Wanderung statt Vandalismus
Ganz neu sei diese Form des Junggesellenabschiedes nicht, ergänzt die Volkskundlerin Andrea Graf aus Bonn. Seit etwa 20 Jahren zögen die verkleideten Gruppen durch die Städte. Laut Graf wandelt sich der Junggesellenabschied inzwischen wieder - hin zu Städtetrips, Wanderungen oder Wellness.
Martin Stein und seine Kollegen in Regensburg haben jedenfalls die Reißleine gezogen: "Die lärmgeplagten Anwohner machen uns Gastronomen verantwortlich, der Vandalismus in den Straßen fällt auf uns zurück. Wir nehmen daran nicht mehr teil." Es sei ihnen eine Freude, "auf diese spezielle Form der Kundschaft verzichten zu dürfen".
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Angemerkt von Frank Werner
Regensburger Notbremse
Eine gemütliche Halbe beim Kneitinger am Arnulfsplatz in Regensburg – vor allem am Wochenende oftmals ein Ding der Unmöglichkeit. Kreischende Mädels, lallende Kerle: Eine geballte Ladung Feierwütiger fällt hier und in anderen Lokalen heuschreckenartig über die Gäste ein. Viele Wirte haben vom Phänomen der Junggesellenabschiede die Nase voll – sie ziehen die Notbremse. Tür zu für die plärrenden Ehe-Vorbereiter.
Die Tradition des Polterabends inclusive kaputten Geschirrs ist der Olympiade der Peinlichkeiten gewichen. Fasching das ganze Jahr – bei soviel verkleidet-uniformiertem Wahnsinn wird der geduldigste Kneipenbesucher zum Feind der Abschieds-Meute.
Natürlich soll jeder nach seinem Geschmack feiern, eine Party-Polizei will niemand. Aber bei massenweisen Junggesellenabschieden hört der Spaß auf. Und mit steigenden Promillewerten verabschieden sich alle guten Sitten.
Bloß gut, dass die Feierwütigen die Zoigl-Wirtschaften noch nicht richtig auf dem Schirm haben. Presssack und Partyalarm, „Blunzn“ und Bräutigam, Tafelspitz und Tutu – bei diesen Kombinationen gärt es nun wirklich.
frank.werner[at]oberpfalzmedien[dot]de
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Interview: Junggesellenabschiede "musealisieren" das Leben
Junggesellenabschiede zählen in deutschen Fußgängerzonen beinahe zum täglichen Bild. Die einen finden es lustig, die anderen peinlich oder ärgerlich. Der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder erklärt im Interview, was es mit der Tradition auf sich hat.
Wie ist dieser Brauch entstanden?
Gunther Hirschfelder: Es dreht sich ja um das, was man in der Kulturwissenschaft lange den Übergangsritus genannt hat. Also: der Abschied von der alten Lebensform und der Eintritt in eine neue Lebensform. Das waren bis in das 20. Jahrhundert hinein sehr stark Polterabend, Verlobung und Hochzeit. Das sind Dinge, die in der vormodernen, der bäuerlichen und bürgerlichen Gesellschaft eine große Rolle gespielt haben. Wo man gesagt hat, für Eheleute gehen bestimmte Dinge nicht, sonst wird das skandalisiert, christlicherseits und auch kulturell in hohem Maße sanktioniert. Und der Polterabend hat den Topos des sich Auslebens oder - eine fürchterliche Wendung - des sich die Hörner-Abstoßens.
Ist das heute auch noch so?
Gunther Hirschfelder: Ich habe den Eindruck, dass es nicht mehr darum geht, den Lebensübergang zu markieren, weil Leute, die heute heiraten, nachher nicht anders leben. Sie sind ohnehin in langen Paarbeziehungen und haben das Zusammenleben ausprobiert. Die Hochzeit hat heute nicht mehr die Bedeutung wie früher?
Gunther Hirschfelder: Es ist eher ein Rechtsstatus. Kirchlich und juristisch - je nachdem aus welchem Kontext man kommt. Auch emotional, spirituell, religiös kann das durchaus eine Bedeutung haben. Das würde ich aber nicht überbewerten, weil sich alltagskulturell dadurch relativ wenig ändert. Wir haben in der Prüderie unserer Gesellschaft nicht die Situation, dass Leute, die fest liiert sind, eine größere sexuelle Freizügigkeit akzeptieren. Das wird nach wie vor als Vertrauensbruch bewertet. Größere Formen von Polyamorie bleiben eine Nische. Den Wendepunkt hierfür markiert das Aufkommen von Aids Mitte der 80er-Jahre. Da wurden Paarbeziehungen stabiler und verbindlicher - weil sich das gesellschaftliche Klima änderte, aber auch weil häufiger sexueller Partnerwechsel ein Gesundheitsrisiko darstellt.
Welche Rolle spielen die Freunde beim Junggesellenabschied?
Gunther Hirschfelder: In einer Phase der großen Mobilität und Digitalisierung von Gesellschaft bietet der Junggesellenabschied die Markierung eines Freundeskreises. Es ist ja schwierig heute bei den ganzen digitalen Freunden - wo man mit Leuten befreundet ist, mit denen man gar nicht befreundet ist - zu sagen: Wer bildet eigentlich den inneren Kern meines Sozialgefüges? Die Einladung zum Junggesellenabschied kann das dokumentieren, da habe ich eine stärkere Definition von Leuten, mit denen ich etwas erleben möchte und die ich dazu zähle.
Was ist noch wichtig?
Gunther Hirschfelder: Der Mensch braucht Markpunkte im Leben, um Zeit erfahrbar zu machen. Der Junggesellenabschied bietet sich hier an, weil andere Termine weggefallen sind. Für den Mehrteil unserer Gesellschaft sind Pfingsten, Christi Himmelfahrt oder der Siebenschläfertag keine markanten Punkte mehr, die das Jahr und somit auch das Leben in eine Ordnung bringen; wo man diesem natürlichen Jahresablauf ein kulturelles Ordnungssystem gegenüberstellt. Wir suchen uns neue Termine wie Halloween oder den Valentinstag. Der Junggesellenabschied ist an die Stelle von Verlobung und Polterabend getreten.
Warum ziehen die Gruppen gerne durch Innenstädte?
Gunther Hirschfelder: Wichtig ist die Visualisierung. Ereignisse werden von Menschen dann als besonders wertig wahrgenommen, bilden eine Vorlage für Narrative und sind memorierwürdig, wenn sie eine kurze Geschichte haben - die nicht so komplex ist wie Pfingsten oder Karfreitag - und wenn sie Bilder produzieren, die ich verschicken und archivieren kann. Der Mensch hat das Bedürfnis, sein Leben zu musealisieren. Das bedeutet beim Junggesellenabschied, dass er - indem er bewusst inszeniert wird - Bilder produziert, die die Biografie mitgestalten. Es geht um die Inszenierung der optischen Eigenheit der eigenen Person. Wir nennen das «Tendenzen einer Karnevalisierung unserer Gesellschaft». Sie können Junggesellenabschiede schlecht bei einem Waldspaziergang an einem regnerischen Tag in der Provinz des Rheinlandes machen. Oder in einer Gaststätte im Industriegebiet. Ich will diesem Anlass eine Wertigkeit verleihen, indem ich ihn nicht nur vor besonderer Kulisse präsentiere, sondern auch vor historischer.
Warum soll sich der Bräutigam dabei lächerlich machen?
Gunther Hirschfelder: Ich würde eher sagen: Er exponiert sich. Ihm ist eine Hauptrolle zugewiesen. Echtes Lächerlichmachen ist das nicht. Die Junggesellenabschiede sind ja auch nach außen hin erkennbar. Das Publikum weiß, was auf es zukommt. Für eine Gesellschaft, die über die Maßen mit sexuellen Bildern aufgeladen ist, finde ich es jetzt nicht schlimm, wenn jemand mit einem Passanten ein Glas Schnaps zu trinken versucht oder jemandem ein Kondom verkaufen möchte.
Zur Person
Gunther Hirschfelder, geboren 1961 in Gummersbach, ist Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Zu seinen Fachgebieten gehören die ethnologische Nahrungsforschung, die Ritual-, Event- und Alltagskulturforschung. Früher lehrte er in Bonn, Mainz, Münster und im japanischen Akita.
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