Gelber Riese wächst auf Kosten von Kunden und Zustellern: Wenn die Post nicht mehr klingelt

Schwandorf
11.01.2018 - 18:42 Uhr

Wenn der Zusteller keine Zeit zum Klingeln hat: Die Deutsche Post treibt den Umbau von der alten Bundesbehörde zum Global Player mit über 400 000 Beschäftigten rasant vorwärts. Die Ausgliederung in DHL Delivery und Roboter sollen die Rendite verbessern. Auf Kosten von Kunden und Mitarbeitern.

Paketflut nicht nur zur Weihnachtszeit: Drei Milliarden Pakete verschicken die Deutschen im Jahr. Bild: Marius Becker/dpa

Regensburg/Schwandorf. Erich Schwarzkopf (Name von der Redaktion geändert) sieht aus wie ein klassischer Briefträger: Seine Schultern leuchten in Postgelb, der Rest der Winterjacke in DHL-Rot. Auch an seinem Wagen hat sich nichts verändert. Nur dass der Regensburger neuerdings nicht mehr für die Deutsche Post, sondern für DHL Delivery zustellt. Der Wechsel zur neuen Post-Tochter schien keine Nachteile zu haben: "Ich habe mich einlullen lassen", ärgert sich der 52-Jährige. Inzwischen ist Schwarzkopf reichlich bedient: "Ich wurde gedrängt, auf 'eigenen Wunsch eine freiwillige Zusatzleistung' zu unterschreiben - jetzt darf ich 48 statt 40 Stunden ohne Überstundenzulage arbeiten."

"In der Oberpfalz gibt es nur in Regensburg ein Delivery Depot", sagt Nicole Rufin, Gewerkschaftssekretärin des Fachbereiches Postdienste, Speditionen und Logistik in Regensburg, "das nächste ist in Bayreuth." Der Grund für die Neugründung liegt auf der Hand: "Bei Delivery findet der jeweilige Branchentarifvertrag Anwendung - in Bayern der Tarifvertrag des bayerischen Speditions- und Logistikgewerbes." Und der sei deutlich niedriger als bei Mutter Post.

Die versprochenen Zulagen durch die Zustellung von Info-Post, Päckchen und Abholungen haben sich bei Erich Schwarzkopf als finanzieller Flop erwiesen: "Da geht's um Cent-Beträge und die Zeit, in der ich das austrage, wird nicht angerechnet." Die Stundenzahl werde so kleingerechnet. "Der Druck ist brutal", klagt der Zusteller, "bei diesen riesigen Touren hat man keine Chance, länger als eine Minute zu warten, ob jemand aufmacht." Drei Milliarden Pakete verschicken die Deutschen im Jahr - der Online-Handel boomt. Die Folgen: steigender Krankenstand bei den Postboten, Staus, verpasste Lieferungen, verärgerte Kunden.

Angeblich nicht anzutreffen

Davon kann auch Eva Meier ein Lied singen: "Unser Zusteller läutet gar nicht mehr, der wirft einfach nur noch seinen Benachrichtigungsschein ein." Ärgerlich sei das: "Ich bin ja zu Hause, das würde keine zwei Minuten dauern." Stattdessen muss die Schwandorferin auf den angegebenen Termin warten und das Päckchen abholen. Wenn es überhaupt kommt: "Zwei Weihnachtsgeschenke sind bis heute nicht angekommen", schimpft sie. "Bei einem habe ich inzwischen eine Rückmeldung von Amazon, ich war angeblich nicht anzutreffen." Das fehlende Eisköniginnen-Kleid hat am Heiligen Abend für bittere Tränen gesorgt. "Das andere Paket ist verschollen."

"Die Post, das war mal eine hoch seriöse Institution", erinnert sich Fritz Lermer. "Schließlich geht's dabei auch um richtig wichtige Güter wie das Briefgeheimnis." Der Regensburger Rentner wundert sich, dass heute auch ein "Hausmeisterdienst Huber" die Postkästen leert. "Nichts gegen den Herrn Huber", sagt Lermer süffisant, "das ist sicher ein ehrenwerter Mann." Doch wer soll bei der Vielzahl überforderter Subunternehmer garantieren, dass niemand auf dumme Gedanken kommt? Stichwort Post-Betrug: Durch die Abrechnung fiktiver Briefe haben Kriminelle 50 bis 100 Millionen Euro erbeutet. Die Deutsche Post hat das mit ihrem laxen Kontrollsystem erst möglich gemacht.

An allen Ecken und Enden knirscht es im Getriebe des Logistik-Giganten: Ist dieser Sparkurs wirklich nötig, um international zu bestehen, wie Post-Chef Frank Appel, 53, promovierter Neurobiologe und früherer McKinsey-Berater, argumentiert? "Es stehen die Aufsichtsratswahlen 2018 vor der Tür, und Herr Appelt will seinen Aktionären bestimmt wieder die Dividende erhöhen", hält Gewerkschafterin Nicole Rufin dagegen. "Deshalb muss der Gewinn mehr werden", interpretiert sie diese Geschäftspolitik, "koste es was es wolle."

E-Flotte und Roboter

Sicher, die Post kann auch innovativ: Die Umstellung der Lieferflotte auf E-Motoren, Roboter als Helfer für die Postboten. Für ein Unternehmen dieser Größenordnung reagiert der Tanker äußerst flott auf Problemstellungen. Und Appel prophezeit weiteres Wachstum: "Ich rechne damit, dass sich unsere Belegschaft in einigen Jahren von jetzt rund 500 000 auf rund 600 000 erhöhen könnte", sagt der Visionär zur "Rheinischen Post".

Dass der sparsame Hamburger nicht sagen will, in welchen Bereichen Jobs entstehen, lässt tief blicken. Im Interview verrät er: "Logistik als Dienstleistung wächst schneller als der Durchschnitt der Wirtschaft." Haupttreiber sei die Digitalisierung: Datenbrillen für Lageristen, selbstfahrende Postautos, die den Austrägern folgen: "Nicht ausgeschlossen", dass einfache Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt würden.

Die Aufsichtsratswahlen 2018 stehen vor der Tür, und Herr Appelt will seinen Aktionären bestimmt wieder die Dividende erhöhen.Gewerkschafterin Nicole Rufin

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„Das Filialnetz wurde deutlich ausgebaut“

Weiden/München. Bahn und Post, das waren einmal die Säulen deutscher Zuverlässigkeit. Privatisiert genießen die Giganten immer noch politischen Schutz, versuchen aber als Global Player die Personalkosten zu senken. Pressesprecher Erwin Nier stellt sich den Fragen der Redaktion.

 

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