28.04.2022 - 17:26 Uhr

Das Ende der Subkulturen

Deutschrap, Caps und Baggyjeans - heute sind fast alle Jugendlichen gleich. Wo sind sie hin, die Subkulturen und die Individualität, wie es sie vor einigen Jahren gab? Das fragt sich Redakteurin Vanessa Lutz und schwelgt in Erinnerungen.

Jährlich zu Pfingsten trifft sich seit 1992 die „schwarze Szene“ beim Musik- und Kulturfestival in Leipzig, dem "Wave-Gotik-Treffen". Jugendliche sieht man dort vergleichsweise eher selten. Archivbild: Alexander Prautzsch/dpa
Jährlich zu Pfingsten trifft sich seit 1992 die „schwarze Szene“ beim Musik- und Kulturfestival in Leipzig, dem "Wave-Gotik-Treffen". Jugendliche sieht man dort vergleichsweise eher selten.

Ich erinnere mich gerne zurück an meine Jugend - denn da war alles besser. Hoppla. Immer öfter ertappe ich mich tatsächlich bei diesem Gedanken. Vor allem, wenn ich durch meine Stadt laufe und die heranwachsende Generation beobachte.

Damals, als ich jung war in den 2010ern, gab es sie noch: blühende Subkulturen, selbst in den abgelegensten Dörfern der nördlichen Oberpfalz. Punks mit bunten Haaren und zerrissenen Klamotten. Kreidebleiche Gruftis mit schwarzen Haaren und dicken Kajal-Rändern. Die gerne belächelten Emos. Die Skater. Die Metaller. Der alles einende Faktor war die Musik, die uns begleitete - und der man meist sogar bis ins Erwachsenenalter treu geblieben ist. Bis heute kann ich jeden Song mitsingen, der mich durch meine Jugend, durch die Pubertät und den ein oder anderen Herzschmerz brachte. Jeder hatte eine Gruppe, der er, verbunden durch Musik, zugehörig war, rebellierte durch sein Äußeres auf gewisse Art und Weise gegen die Erwachsenen. Es war eine Zeit der puren Selbstfindung.

Heute allerdings, so fällt es mir mit Wehmut auf, ist solch eine Jugendkultur kaum mehr existent. Jeder Song klingt gleich, die Künstler sind oft nach wenigen Wochen des kometenhaften Erfolges wieder vergessen. Auf Konzerten und Festivals abseits des Mainstreams - abgesehen von Deutschrap - sieht man kaum mehr Jüngere. Optisch gleichen sich die Jugendlichen von heute vom Scheitel bis zur Sohle. Die Jungs: Jogginghose, Cap, teure Sneaker, Oversize-Pullover. Die Mädchen in Schlabberjeans und bauchfrei, lange Haare streng gescheitelt. Einendes Element hier: Markenkleidung von großen Sportartikelherstellern und wummernde Beats aus Bluetooth-Boxen, untermalt mit Texten, die an dieser Stelle wohl kaum zitabel sind.

Wo bleibt da die Individualität? In der Musik, in der Kleidung? Das verstohlene Lächeln der Zugehörigkeit und des Verstehens, wenn einem jemand entgegenkommt, der das Shirt der Lieblingsband trägt? Was ist mit dem einen Song, den man für immer mit der ersten schmerzhaften Trennung verbinden wird? Der, bei dem man an den ersten Kuss denkt oder den schönsten Sommerabend mit seinen Freunden? Der Soundtrack des jugendlichen Lebens sozusagen. Heute ist alles ist nur noch gleich, schnelllebig, kommerzialisiert - und langweilig.

Und während ich diese Zeilen schreibe mit Blick auf die immer gerne so genannte „Jugend von heute“, beginne ich mich fast schon alt zu fühlen. Aber ich bin da nicht allein. Denn schon mehr als 400 Jahre vor Christus hatte der griechische Denker Sokrates viel an den jungen Leuten seiner Zeit auszusetzen. Auch sein Schüler Platon motzte später über die Jüngeren. Und als dessen Zögling Aristoteles erwachsen war, sah es noch düsterer aus: Er verzweifle an der Zukunft der Zivilisation, wenn er die Jugend sehe, wird der entnervte Philosoph zitiert. Für ganz so schlimm halte ich es, zugegeben, zwar nicht. Aber ein wenig mehr Individualität - und bessere Musik - würde doch nicht schaden.

HINTERGRUND:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
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