"Scherbe kontra Bass" nennen sich Marius del Mestre und Akki Schulz. Beide haben eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Del Mestre war Rhythmusgitarrist in der letzten Besetzung der "Scherben". Schulz hat im Orchester des weltberühmten Dirigenten Leonard Bernstein gespielt. Dies und mehr erfahren die Zuhörer am Samstagabend. Und sie hören noch einmal die ganze Tragik dieses Rock-Sängers und Komponisten, der solo weitermachte, weil er Schulden hatte - und endlich den Durchbruch schaffte. "Scherbe kontra Bass" schafft es an diesem Abend, viele "Protestler" der 70er Jahre ins Kunsthaus zu locken.
Wie ein Aufschrei
Der Ernst der Songtexte ist geblieben. Nur, an diesem Abend sind die Besucher zur Unterhaltung gekommen und um ein wenig Zeitreise zu betreiben. Alles, was Akki Schulz und Marius Del Mestre interpretieren, klingt wie ein einziger Aufschrei gegen die Gleichgültigkeit der Welt. Weinen muss trotzdem niemand. Höchstens der Kontrabass. Der kann aber auch lachen: Schulz wird für die absolute Beherrschung seines Instruments mehrmals gefeiert. Begeisterte Zurufe, Pfiffe, Zwischenapplaus mitten im Song sind keine Seltenheit.
Marius del Mestre ist die Stimme, die den jung verstorbenen Rio Reiser zurückbringt. Seit neun Jahren zieht "Scherbe kontra Bass" durchs Land, und wird bejubelt. Die Texte haben an Aktualität nichts verloren. Aber die Fans werden älter. "Es wird immer schwieriger, davon zu leben", gibt Schulz in der Pause zu. Er klagt nicht, aber der Mensch muss essen. Ideale ausleben, Geld verdienen. Eine Frage der Moral. Rio Reiser wurde davon gequält bis zu seinem Tod im Alter von erst 46 Jahren. Der Konflikt zwischen Idealismus und Überlebenskampf wird auf der Kunsthausbühne leidenschaftlich besungen.
Hammerstarker Auftritt
Alte und neue Scheiben-Fans suchen das "Paradies". "Aber eine Welt ohne Waffen und Krieg bleibt leider Utopie", sagt Marius. Was für ein hammerstarker Auftritt von Akki Schulz, der eben ein überwältigendes Solo am Kontrabass hingelegt hat. Der Publikumschor singt lautstark mit, wenn Marius den "König von Deutschland" ausruft. Zwischen Humor und Selbstironie fehlt es nicht an der Dramatik der damaligen Protestwelle "Der Krieg ist nicht tot, er schläft nur", ist nur eine Wahrheit mit ewiger Gültigkeit. Galt unser Protest damals nicht dem Wunsch nach ewigen Frieden? Nein, Kuschelrock gibt es hier heute nicht. Zumindest darf geschmunzelt werden, geht es um das Eltern-Kind-Drama. Denn jetzt ist doch alles anders als damals. "Wir müssen hier raus!" beschreibt die freiheitsliebende Jugend der 70er Jahre. Es sind die heutigen Eltern, die hier sitzen und deren Kinder nichts mit Protest am Hut haben, sondern "Hotel Mama" schätzen. Während sich diese "neuen Kinder" daheim einkuscheln, besingen ihre Eltern ihre 70er-Jahre-Träume im Kunsthaus wehmütig in der Cover-Version.
Fünf Zugaben lassen die Fans freudig hoffen, dass "Scherbe kontra Bass" gerne im Kunsthaus auftritt und länger bleiben will. "Junimond" gehört zur Zugabe. Die Leidenschaft und Lust zur Musik sind übergesprungen aufs Publikum an diesem Abend. Launig tobt der Rock durch den Zuschauerraum, kann sogar über 80-jährige Zuhörer noch begeistern. "Wer nicht über sich selbst lachen kann, der ist mit Vorsicht zu genießen", sagt Marius und meint damit jene Protestler, die vor Ernsthaftigkeit beinahe wieder bieder seien. Dieser Funke ist übergesprungen, im Kunsthaus ist heute niemand bieder drauf. Das Beste am Schluss: "Scherbe kontra Bass" will wiederkommen.
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