Gwendolyn El Atreby berichtet von Terroreinsätzen in Frankreich: "Wir müssen uns alle vorbereiten"

Weiden in der Oberpfalz
02.04.2017 - 18:44 Uhr

Terroristen töten 142 Menschen bei zwei Anschlägen in Paris 2015. Von ihren Erfahrungen bei Terroreinsätzen berichtet Gwendolyn El Atreby bei einer Konferenz in Weiden.

Gwendolyn El Atreby vom Französischen Roten Kreuz berichtet beim 10. Bayerischen Katastrophenschutzkongress in der Max-Reger-Halle in Weiden von ihren Erfahrungen bei Mehrfachanschlägen in Paris. Bild: esa

El Atreby, Mitarbeiterin des Französischen Roten Kreuzes (FRK), war Referentin beim 10. Bayerischen Katastrophenschutzkongress von Freitag bis Sonntag in Weiden. Beim Attentat auf die Musikhalle Bataclan in Paris war sie eine der Verantwortlichen im National Operation Center.

Ihr Vortrag stand unter dem Titel "Lehren aus Mehrfachanschlägen". Können Sie zwei Lehren nennen, die Sie aus den Attentaten in Paris und den folgenden ziehen?

Gwendolyn El Atreby: Die wichtigste Lektion, die wir in den letzten Jahren gelernt haben, ist, dass wir uns in ganz Frankreich vorbereiten müssen. Das hat nichts mit Paris oder Großstädten zu tun. Es kann irgendwo irgendwas passieren und wir müssen uns alle vorbereiten. Die Sache mit den Risiko ist immer noch offen. Wie können wir einen möglichst risikofreien Einsatz für unsere freiwilligen Retter garantieren, selbst wenn wir wissen, dass es das Risiko null nicht mehr gibt, weil die Terroristen sich in einer Stadt oder Region bewegen?

Wie sind Sie zu diesen Ergebnissen gekommen?

Das haben wir von den Einsätzen gelernt. Die Ereignisse haben uns gezeigt, dass Paris nicht mehr das einzige Ziel ist: erst Nizza, dann Saint-Etienne-du-Rouvray. Oder wenn die Terroristen auf der Flucht sind, fängt es in Paris an und hört in Dammartin-en-Goële auf.

Wie helfen Ihre Erfahrungen vom Einsatz in Frankreich Ihren Kollegen in der Oberpfalz?

Jedes Land ist anders organisiert. Aber es gibt psychologische Faktoren, die dieselben sind. Wie können wir uns vorbereiten? Wie können wir das Unerwartete kalkulieren? Wie gehen die anderen damit um? Die Anschläge sind dieselben. Wir tauschen uns aber auch über neue Technologien aus.

Zum Anschlag im Bataclan am 13. November 2015: Wie viele Retter waren im Einsatz?

Insgesamt wurden 729 Sanitäter eingesetzt. Das heißt, die waren vor Ort und haben in den Tagen danach auch in den Betreuungsstellen und in den Call-Centern für Bürger mitgeholfen. Die ersten Retter sind von den Feuerwehren, wo das Französische Rote Kreuz in Paris freiwillig Hilfsdienst leistet.

130 Tote, sehr viele Verletzte: Wie kann man da überhaupt handeln?

Wir hatten Pläne, die sind umgesetzt wurden. Die haben auch gut funktioniert. Unsere Struktur in solchen Fällen ist: Die Mittel erst außerhalb zu sammeln und zu warten, bis uns die staatliche Behörde sagt: "Ok, hier ist die Sicherheitszone und wir brauchen so und so viele Ambulanzen an dem und dem Ort." Dann werden die Retter ganz gezielt eingesetzt. Das ist ganz grob erklärt. Die Mittel kommen aus dem Großraum Paris. Was in Paris passiert ist, konnte bewältigt werden, weil es in Paris war und es dort genügend gibt. Das ist in anderen Städten nicht unbedingt der Fall.

Wo kommen die Retter zum Einsatz?

Bei terroristischen Anschlägen sprechen wir von Risikokreisen. Normalerweise kommt das FRK nicht in den ersten Kreis, wo noch die Täter sind. Das heißt, dass wir normalerweise nicht an die Verletzten am Unfallort rankommen.

Im engsten Kreis sind nur Polizei und Sicherheitskräfte?

Ja. Wir sind im dritten Kreis, wohin Verletzte von Polizei und staatlichen Helfern vorher einsortiert wurden. Generell gilt in solchen Situationen, Blutungen zu stillen, Atemprobleme zu lösen. Für Herzinfarkte und Reanimation ist da keine Zeit.

Welche Rolle haben Passanten bei der Rettung gespielt?

Das sind spontane Helfer, die auch Erste Hilfe leisten. Wir haben gesehen, dass nach den Attentaten die Zahlen der Anmeldungen für einen Erste-Hilfe-Kurs gestiegen sind. Jetzt wird den Leuten im Kurs auch beigebracht, wie sie bei einer Blutung ein Tourniquet anwenden. Ein Thema ist auch: Wie können wir besser Passanten einbinden?

Was hat bei Bataclan nicht so gut funktioniert?

Normalerweise kommt ein freiwilliger Sanitäter nie in ein Risikofeld. Was völlig unerwartet war, ist, dass bei den ersten Anrufen nicht gleich die Verbindung zu der Terrorattacke hergestellt wurde. Retter wurden in das Feld reingeschickt, um eine Beinverletzung zu versorgen.

Haben sich die Rettungsdienste nach den Anschlägen verändert?

Nein. Die Pläne werden aber weiter verbessert. Das FRK verbreitet sie in ganz Frankreich.

Wie verarbeiten Sie einen solchen Einsatz?

Das kommt auch auf den Einzelnen an. Bei so einer Aktion mit dabei zu sein und mit geholfen zu haben, hat mir gut getan. Die ersten 48 oder 72 Stunden danach denkt man dauernd daran. Nach zwei, drei Wochen kommt der Alltag wieder zurück. Zum Glück.

Haben Sie schlaflose Nächte oder Albträume?

Die Anschläge waren so außergewöhnlich, dass alle Mitarbeiter, Angestellte wie Ehrenamtliche, nach dem Einsatz einen Telefonanruf zur psychologischen Unterstützung erhalten haben. Selbst ich, die im Hintergrund im National Operation Center gearbeitet habe, habe zwei Anrufe bekommen von Leuten, die wissen wollten: "Wie geht es Ihnen? Haben Sie Albträume?" Ich sagte: "Nein, mir gehts gut."

Wenn man gemerkt hat, man bräuchte Hilfe, dann gab es die?

Ja. Das wurde dann weitergeleitet und verfolgt.

Wie kam überhaupt der Kontakt in die Oberpfalz zustande?

(lacht) Es gibt ja verschiedene Veranstaltungen zum Austausch. Wir haben von Organisationen aus Nachbarländern gelernt. Und wenn ich dazu beitragen kann, meine Erfahrungen weiterzugeben, dann finde ich das schön. Der Austausch mit anderen Rot-Kreuz-Gesellschaften ist wichtig.

Zur Person

Die Deutsch-Französin Gwendolyn El Atreby ist beim Französischen Roten Kreuz (Croix Rouge) für die Abteilung Rettung und Risiko zuständig. Dort ist sie für die Auswertung der Einsätze verantwortlich und plant, wie die Menschen nach einem Anschlag in den Alltag zurückfinden können. Die 49-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder. Mit ihrer Familie lebt sie in Paris. (esa)

 

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