Lastwagenfahrer übersehen Stauende: Tödliche Unfälle auf A3 in Bayern: Zeitdruck führt zu Risiko

Weiden in der Oberpfalz
16.02.2018 - 20:36 Uhr

Auf der A 3 in Bayern kommt es innerhalb weniger Tage zu mindestens vier schweren Unfällen, weil Lastwagenfahrer das Ende eines Staus übersehen. Dabei gibt es Notbremsassistenten. Doch für manche Fahrer ist Sicherheit nicht Priorität.

In kurzer Zeit sind viele schwere Unfälle geschehen, in die Lastwagen verwickelt waren. Oft ließen sich ihre Fahrer zu leicht ablenken, lautet ein Vorwurf. Ein Mitarbeiter einer Spedition macht eher den großen Zeitdruck verantwortlich. Symbolbild: Armin Weigel/dpa

Amberg/Teunz/Reuth bei Erbendorf. (jut/esa/dpa) Ein Blick aufs Handy, ein Griff ins Handschuhfach, ein herzhaftes Gähnen - im schlimmsten Fall kann eine solche kurze Unaufmerksamkeit innerhalb von Sekunden das Leben von Menschen auslöschen. Dann wird ein schwerer Lastwagen, der ungebremst auf ein Auto oder einen anderen Lkw prallt, zur Todesfalle. Auf der A 3 in Bayern sind in den vergangenen Tagen drei Menschen ums Leben gekommen, weil Lastwagenfahrer das Stauende vor ihnen zu spät bemerkten.

Zwar gibt es immer wieder technische Neuerungen für mehr Sicherheit wie das Notfallbremssystem für Laster. Falls der Fahrer einschläft, bringt es das Fahrzeug zum Stillstand. "Das haut richtig rein", sagt Roland Rötzer. Er arbeitet als Disponent bei der Spedition MGR in Teunz (Kreis Schwandorf). Aber die Technik hilft nicht immer: Kontrollsysteme für Ruhezeiten der Fahrer können ignoriert oder manipuliert werden. Die Notbremsassistenten sind zwar seit 2015 verpflichtend - aber nur für neu zugelassene Lkw und Busse ab 7,5 Tonnen. "Alte MAN aus dem Ausland haben das nicht. Unsere Lkw haben es alle, das älteste Fahrzeug ist zwei Jahre alt", erläutert Rötzer. Aber wer sie hat, kann sie ausschalten.

Erschöpfte Fahrer

Wenn ein Lastwagen nicht rechtzeitig bremsen kann, wird es gefährlich. Auffahrende Lastwagen machen ein Fünftel aller schweren Lkw-Unfälle aus und sind für 30 Prozent der dabei Getöteten verantwortlich. Zu dem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer. Bundesweit gab es dem Statistischen Bundesamt zufolge 2016 auf deutschen Autobahnen gut 8000 von Lkw ausgelöste Unfälle mit Verletzten. Zwischen 1992 und 2014 seien die Unfälle mit Lastern um knapp 60 Prozent zurückgegangen, teilt Harald Sentner mit. Er ist Geschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen Niederbayern/Oberpfalz. Im selben Zeitraum sei die Transportleistung um 85 Prozent gestiegen. Die Straßen in Deutschland seien für so viel Verkehr nicht ausgelegt, findet auch Rötzer.

Friedrich Böhm, Leiter der Verkehrspolizei Amberg, sieht mehrere Hauptursachen: Zum einen Sekundenschlaf. Wegen der eintönigen Arbeit, aber auch weil viele Lastwagenfahrer wenig Pausen machen und erschöpft weiterfahren würden. "Wir stellen bei Routinekontrollen sehr oft fest, dass die Ruhezeiten nicht eingehalten werden", sagt Böhm. Zum anderen würden viele Fahrer den Sicherheitsabstand zu selten einhalten, die Notbremsassistenten seien oft ausgeschaltet.

Böhm wünscht sich Veränderungen: Die Assistenten sollte man auf Landstraßen oder Autobahnen nicht ausschalten können. "In der Stadt ja, aber nicht ab einer bestimmten Geschwindigkeit." Ähnlich sieht es der ADAC. Der Club forderte zuletzt effektivere Notbremsassistenten, die der Fahrer nicht manuell ausschalten kann sowie strengere Kontrollen und Strafen für zu geringen Abstand. Das unterstützt auch Sentner. Bei Verstößen gegen die Regeln "fordern wir, dass die betroffenen Unternehmen und deren Fahrer sofort, konsequent und europaweit aus dem Verkehr gezogen werden", schreibt er. Man sollte den Stand der Technik nutzen, sagt Böhm. "Das wäre ein super Beitrag für die Verkehrssicherheit."

Auch ein großes Thema: Die Ablenkung am Steuer, durch Smartphones, Bücher oder gar Fernseher. Täglich erwische die Amberger Verkehrspolizei Fahrer, die mit dem Handy spielen - egal ob im Auto oder im Laster. Und egal, ob der Fahrer aus Deutschland oder dem Ausland stammt. "Da gibt's keinen Unterschied." Genau wie beim Thema Sicherheit. Böhm meint sogar: "Die Lkw aus dem Ausland sind teilweise neuwertiger als die der deutschen Subunternehmer." Das habe einen logischen Grund: "Die ausländischen Fahrer verdienen weniger, dafür sind die Fahrzeuge auf dem neuesten Stand."

Der Lastwagenfahrer Heiko Schieder aus Reuth bei Erbendorf nennt drei Gründe, warum Unfälle mit Lastern geschehen. Einmal: "Die Blödheit der Kollegen." Schieder erklärt: "Wenn sich Kollegen während der Fahrt Fingernägel schneiden oder Filme schauen, ist das lächerlich." Das verstehe er nicht und davon distanziere er sich. "Es geht ja nicht nur um andere Personen, sondern auch darum, selbst gesund heimzukommen." Dass er mal für ein Getränk zum Kühlschrank greift, gibt er zu. "Sonst wäre ich ein Lügner."

Dann würden bei manchen Unfällen viele Dinge zusammenfallen. "Da kann man nicht erklären, warum." Das größte Problem aus Sicht der Fahrer sei aber: Der Termindruck, der von Industrie und Wirtschaft ausgehe. Speditionsmitarbeiter Rötzer nennt ein Beispiel: Ein Autohersteller nenne den Lastwagenfahrern ein Zeitfenster von vier Stunden, in dem sie ihre Fracht anliefern dürfen. Sind die Brummis zu spät dran, würden 180 000 Euro Strafe pro Stunde drohen, wenn der Auftraggeber wegen unpünktlicher Lieferung seine Produktion anhalten müsste, berichtet er. Gegen solche Strafen seien Speditionen versichert.

Überholen ohne Assistent

Der Zeitdruck betreffe auch Vertreter, die mit dem Auto unterwegs sind, oder Busfahrer, sagt Berufskraftfahrer Schieder. Wenn man als Lastwagenfahrer einmal zu spät komme, habe das Auswirkungen auf den ganzen Tag, die ganze Woche. "Dann kann's passieren, dass man statt Freitag erst am Samstag heimkommt." Da aber jeder gerne daheim bei seinen Liebsten sei, würden Lastwagenfahrer auch Risiken in Kauf nehmen. Dann werden die Abstandstempomaten ausgemacht, die Ruhezeiten ignoriert. "Das wird teilweise so praktiziert", sagt Schieder. Weil: "Der Assistent regiert sehr fein und streng." Viele Kollegen nerve das in bestimmten Situationen. Überholvorgänge mit aktiven Assistenten würden manchen Fahrern viel zu lange dauern. Dann werde das System eben ausgeschaltet.

Manche Kollegen würden auch bis zu dreizehn Stunden am Tag fahren, um Zeit gut zumachen. Das käme für Schieder nicht infrage, er sagt aber auch: "Manchmal muss ich auch eine halbe Stunde länger fahren." Wenn er zum Beispiel in einen Stau reinkomme oder keinen guten Parkplatz finde. Denn: "Wir Fahrer haben auch ein Recht auf einen Parkplatz, auf dem ich mich anständig hinstellen kann, ich ruhig schlafen kann und auf dem es eine Toilette gibt."

Wenn sich Kollegen während der Fahrt Fingernägel schneiden oder Filme schauen, ist das lächerlich.Heiko Schieder, Lastwagenfahrer aus Reuth bei Erbendorf
 
 

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