Leserbriefe zum Streit zwischen der Türkei und Deutschland: Der „Flüchtlingsdeal“ bremst den Protest aus

Weiden in der Oberpfalz
08.03.2017 - 20:10 Uhr

Zu viel Geduld gegenüber Türkei

Zu Türkei, Erdogan und Deniz Yücel:

Dass die Türkei den Pfad zur Demokratie durch Erdogan verlassen hat, ist eine Tatsache. Über eine Million wahlberechtigter Türken mit zwei Staatsangehörigkeiten leben in Deutschland. Dass die Bundesregierung gegen Auftritte türkischer Politiker in Deutschland Position bezieht, ist richtig - und zu begrüßen, dass Kommunen solche Auftritte per Verordnung verhindern. Ein "Ja" für die in der Türkei von Erdogan geplante Verfassungsreform bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung Diktatur, Das dürfen wir Deutsche nicht erleichtern. Wenn ein Ausländer sich für die Perspektive, endgültig in Deutschland zu bleiben, entscheidet (das gilt auch für Nachkommen!) ist das Behalten der ersten Nationalität ein Hindernis für die Integration. Türken mit der deutschen Staatsbürgerschaft sollen sich in der deutschen Politik zweifelsohne einmischen und mitbestimmen, nicht aber in die Politik des Herkunftslandes. Fazit: Abschaffung der Möglichkeit zweier Staatsangehörigkeiten.

Ich war Spanier, seit 40 Jahren bin ich deutscher Staatsbürger, meine alte Nationalität habe ich freiwillig abgegeben. Überhaupt bin ich der Meinung, dass die Bundesregierung viel zu viel Geduld gegenüber der Türkei aufbringt.

José Agüeras, 95698 Neualbenreuth

Scheinheilige Solidarität

Der Journalist der Tageszeitung "Die Welt", Deniz Yücel, ist seit 28. Februar in türkischer Untersuchungshaft in der Türkei. Deniz war einer der wenigen Journalisten, der in Deutschland objektiv und mutig über die Missstände in der Türkei berichtet hat. Der Internationale Kultur- und Solidaritätsverein Regensburg e.V. (IKS) solidarisiert sich uneingeschränkt mit Deniz Yücel und fordert seine sofortige Freilassung.

Genau diese Solidarität haben wir lange vermisst. Laut dem neuesten Bericht von Amnesty International befinden sich momentan mehr als 120 Medienschaffende in der Türkei im Gefängnis. Damit sitzt ein Drittel aller weltweit inhaftierten Journalisten in einem türkischen Gefängnis - so viele wie in keinem anderen Land. Deshalb fragen wir uns, ob jemand, um Solidarität genießen zu können, einen deutschen Pass in der Tasche haben muss?

In der Türkei herrscht seit langem eine Ein-Mann-Diktatur. Der Diktator heißt Recep Tayip Erdogan. Er hat sehr mächtige Freunde auf der ganzen Welt, die ihm den Rücken freihalten. So kann er die Verhaftungswelle an unzähligen oppositionellen Politikern z. B. der HDP beliebig fortführen. Diese mächtigen Freunde sind zum Beispiel die, die mit ihm den sogenannten Flüchtlingsdeal ausgehandelt haben; die, die ihn im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung seit jeher mit Waffen beliefern; die, die geschwiegen haben, als in der Türkei über 160 kritische Medien geschlossen wurden; die, die seinen verlängerten Arm, die UETD in Europa, uneingeschränkt agieren lassen; die, die auf Verlangen Erdogans Exilpolitiker verhaften und deren Organisationen verbieten lassen.

Sind das nicht dieselben europäischen Länder, die selbst kurdische und kritische Medien unterdrücken und auch verboten haben? Es ist kein Wunder, dass der türkische Staatspräsident Erdogan jetzt sogar einen deutschen Journalisten verhaften lässt. Es lässt vermuten, dass Deniz Yücel wie eine Geisel betrachtet wird, im Gegenzug zu den Verdächtigungen der deutschen Justiz gegen türkische DITIB-Imame und Lehrer an staatlichen Schulen.

Wir sind uns sicher, dass Deniz Yücel selbst die Doppelmoral der momentanen Solidaritätsbekundungen aufgezeigt und angeprangert hätte. Er würde keine Sonderbehandlung fordern, sondern für die Belange aller inhaftierten Journalisten in der Türkei eintreten.

Der IKS fordert die neue Solidaritätsbewegung auf, für die Freilassung aller Inhaftierten in der Türkei, die sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, zu kämpfen.

Necati Güler, Internationaler Kultur- und Solidaritätsverein 93049 Regensburg

 
 

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