Nachwuchsjournalistin diskutiert mit Senioren über die Zeitung: Solange die Augen mitmachen

Weiden in der Oberpfalz
31.05.2016 - 02:00 Uhr

Eine Nachwuchsjournalistin liest Zeitung mit Menschen, die älter sind als das Medienhaus. Es ergeben sich überraschende Gespräche über den Tod, den Hertie und die Zukunft der Medienlandschaft.

"Mit'm Reden kommen d'Leit zam." Diese Erfahrung macht unsere junge Kollegin im Gespräch mit Senioren. Ihr Thema: die Zeitung.

Da sind sie nun. Ein Dutzend Menschen, die älter sind als das Medienhaus. Die doppelt so lange Zeitung lesen, wie ich auf der Welt bin. Betrachtet man solche Vergleiche, trennen uns Welten. Nun sitzen wir an einem Tisch im Seniorentreff im Maria-Seltmann-Haus in Weiden und reden über die Zeitung.

Todesanzeigen am Morgen: Bereits beim Aufklappen kommen die ersten Unterschiede zutage. Zielstrebig blätttern die Senioren zu den Todesanzeigen. Der Gedanke, mich direkt nach dem Aufstehen mit dem Tod zu beschäftigen, deprimiert mich. "Da kennt man mittlerweile eben sehr viele", erklärt die 73-jährige Magdalena Holmer. "Mir sind ja schon fast alle meine Freunde weggestorben", erzählt eine 86-jährige Frau nüchtern. Unwillkürlich erinnere ich mich daran, wie ich letztens wieder meine Facebook-Freundesliste ausgemistet habe. In fünfzig Jahren lösche ich die Leute vielleicht, weil sie gestorben sind.

Das in meiner Generation tabuisierte Thema Tod ist bei den Leuten am Tisch ein ständiger Begleiter.

Der Sportteil: Ehemann Josef Holmer (78) teilt mit jahrzehntelang eingeübter Handbewegung die Zeitung. "Ich krieg den Sportteil, die Frau den Rest."

Sein Gesicht hellt sich auf: "Die Montagsausgabe. Da sind die Spielergebnisse der Kreisliga drin." Schmunzelnd erinnere ich mich daran, wie die Telefone in der Sportredaktion einen Tag zuvor heiß liefen. "Wir brauchen dringend die Spielberichte!", ermahnten die Redakteure die Lokalberichterstatter.

Erst die "Unsrigen": Ob er nicht zuerst die Bundesliga anschaue, frage ich Holmer, weil das die einzigen Spiele sind, die mich halbwegs interessieren. "Nein, die Unsrigen zuerst natürlich!", protestiert er. Überhaupt das Lokale. Nur die Wenigsten am Tisch lesen von vorne nach hinten. Erst das Lokale, dann alles andere. Das heißeste Thema für viele Weidener ist immer noch die Stadtgalerie. "Mal abwarten, was das wird", lautet der skeptische Kanon. Karl-Heinz Puttke (67) und die 84-jährige Hilde Heuberger erinnern sich natürlich an Hertie. Das Gebäude sei extra für das große Warengeschäft gebaut worden. Klar, dass sich das nicht halten könne, wenn alle nur zum Aufwärmen und Rumschauen reingingen, wirft jemand ein. "Aber so ein Kaufzwang wie heute in den Geschäften ist auch nicht gut." Ich bin etwas überrascht von den anregenden Gesprächen. Heuberger gibt zu, dass sie zuerst schaut, ob die Ankündigungen für ihren Verein "Deutsche Parkinson-Vereinigung" enthalten sind. Die anderen nicken wissend. Viele sind oder waren in Vereinen organisiert und lesen die Berichterstattung darüber als erstes.

Die Vereine : Dann setzt eine Frau an: "Jetzt muss ich aber schon mal was sagen." Und ich ahne, was kommt, weil es immer kommt: Die Vereinsberichte würden zu knapp ausfallen. Und überhaupt komme der eigene Verein immer zu kurz. Ich bin gespannt, ob die Stimmung kippt und die zähen Diskussionen beginnen. Ich erzähle von meinem Arbeitsalltag als Lokaljournalistin. Dass wir jeden Tag nur eine begrenzte Anzahl an Seiten zur Verfügung haben. Dass wir darauf achten müssen, dass die Berichte alle interessieren und nicht nur die Vereinsmitglieder. Wir kommen überein, dass wir wohl niemals alle Ansprüche unter einen Hut bekommen können. Von eingefahrenen Denkmustern keine Spur.

Politik in der Welt und Wirtschaft: Weiter diskutieren wir angeregt lokale Themen. Doch nur lokale Nachrichten reichen den Senioren nicht aus. Politik und Weltgeschehen gehörten dazu. "Man braucht den Gesamtüberlick. In der Zeitung kann man Dinge noch in Ruhe nachlesen", wendet Puttke ein. Er liest übrigens zuerst den Wirtschaftsteil: "Ich will wissen, was es für Veränderungen am Markt gibt. Was gerade Trend ist."

Zeit und die Zukunft der Zeitung: Eine Stunde lesen die Meisten jeden Tag ihre Zeitung, mindestens. Helga Rast (85) aus Moosbach hebt sich extra einen Teil der Samstagsbeilage auf. "Damit ich am Sonntag auch was zu lesen habe", erzählt sie lächelnd. "Das ist das einzig Schöne am Alter, dass man Zeit hat."

"Hoffentlich machen die Augen noch lange mit", gibt Irmgard Oheim (63) aus Neustadt/WN zu Bedenken. Ich berichte begeistert von automatischen Vorlese-Funktionen und anderen technischen Wunderwerken. Die Senioren winken ab. Das sei doch alles so kompliziert. Da ist er wieder, der Generationen-Graben, den die rasante technische Entwicklung aufgerissen hat. "Wenn wir alle wegsterben, liest dann noch jemand die Zeitung?", fragt eine Frau besorgt und bringt damit die Frage auf den Punkt, die in der Medienlandschaft heiß diskutiert wird. "Wir schaffen das", zeige ich mich optimistisch.

Die Kinder zum Schluss: "Die Kinderseite ist so schön, die lese ich immer als letztes", sagt eine Frau und drückt herzlich meine Hand. Auf ihrem Gesicht zeigen sich Hunderte Lachfalten. Zuerst die Todesanzeigen und am Ende die Kinderseite. Bei alten Menschen tickt die Uhr anders.

Das ist das einzig Schöne am Alter, dass man Zeit hat.Helga Rast aus Moosbach
 
 

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