Für einen Augenblick geistert einem der Gedanke ans Aufgeben durch den Kopf. Die Holzbohlen, die zu Beginn noch über butterweichen Waldboden führten, ließen einen Spaziergang vermuten. Doch das entpuppte sich als falsche Fährte. Mit jedem Meter, den sich der Rundweg durch den schwedischen Nationalpark Skuleskogen an der Ostsee weiter nach oben schraubt, wird das Terrain herausfordernder, anspruchsvoller.
Gewaltige Baumstümpfe, vom letzten Wintersturm gefällt, erschweren das Weiterkommen; ein wild geknüpftes Netz aus Wurzeln zwingt zu höchster Aufmerksamkeit. An der Ostflanke des Slåttdalsberget wartet das größte Hindernis: ein schier endloses Feld aus glattem Geröll, das in einem steilen Kamin endet.
Schmaler Schlund aus Fels
Die Schufterei wird mit der größten Attraktion des Skuleskogen belohnt: die Schlucht Slåttdalsskrevan, in der angeblich Trolle und Riesen hausen und wo einst Räuber ihr Unwesen trieben. Bis zu 40 Meter türmen sich die steil aufragenden Felswände aus rotem Granit beiderseits des schmalen Schlunds auf, an dessen Grund es selbst an heißen Sommertagen angenehm kühl ist. Man kann es sich kaum vorstellen, doch über dieses steinerne Meer schwappte einst die Ostsee und die Brandung brach sich an den Granitklippen. Der Skuleskogen-Nationalpark ist wie ein gigantisches Geografie-Schulbuch. Es erzählt, wie Inlandeis, Landhebung und Erosion Schwedens Küste geformt haben und weshalb diese imposante Landschaft 450 Kilometer nördlich der Hauptstadt Stockholm am Bottnischen Meerbusen seit 2000 zum Weltnaturerbe zählt. Denn hier an der Höga Kusten - der "hohen Küste" - ist die Landhebung noch lange nicht abgeschlossen. "Um acht Millimeter wächst der Landstrich jedes Jahr, mehr gibt es an keinem anderen Ort der Welt", rechnet Verkehrsamtsleiterin Anna Hellgren vor. Auf den glatt geschliffenen Felsen, wo man nicht nur Hunde, sondern auch Kinder lieber an die Leine nehmen sollte, zeigt sich der ganze Zauber dieses Küstenabschnitts zwischen den drei Orten Härnösand, Kramfors und Örnsköldsvik.
Deutsche Touristen kommen eher selten hierher. Den meisten ist schlicht der Weg zu weit zu diesem Küstenabschnitt, der ein wenig an Norwegens Fjordlandschaft erinnert - mit dem Unterschied, dass die Berge der Höga Kusten kaum die 300-Meter-Marke erreichen.
Klitzekleine Dörfer
Winzige Inseln grüßen aus den Weiten der Bottnischen Meerbusens. Wasserarme schlängeln sich tief ins Land. Klitzekleine Dörfer mit einer Handvoll Holzhäuser verstecken sich zwischen Wäldern und mit Wildblumen übersäten Wiesen. Einst waren beide Barsta oder Bönham arme Fischerdörfer, deren Bewohner kaum genug zum Überleben hatten. Heute residiert zahlungskräftige Kundschaft in den aufgemöbelten Fischerhütten, wo das Anschlagen der Ostseewellen die müden Bewohnerinnen und Bewohner in den Schlaf begleitet.
Während der jüngsten Eiszeit war die Eisdecke im Gebiet der Höga Kusten bis zu drei Kilometer dick. Durch das immense Gewicht dieser Schicht wurde das Land stetig nach unten gedrückt - Berechnungen zufolge rund 800 Meter. Als das Eis vor rund 20 000 Jahren zu schmelzen begann, setzte die entgegengesetzte Bewegung ein: Der Druck verringerte sich und der Boden begann sich zu heben. Dieser Prozess dauert noch immer an. Der Skuleberget ist 295 Meter noch. Wer in 1000 Jahren das Prachtstück mit seiner Moränenkappe besucht, wird einen 300er vorfinden.
"Kein Wald ist so wild wie der Skuleskogen", schwärmte die schwedische Schriftstellerin Kerstin Ekman über den Zauberforst im Nationalpark, wo es dunkle Klammen, verwunschene Seen und glasklare Bäche gibt. Doch der Skuleberget, der wie ein Monolith über dem Landstrich thront, ist nicht weniger wild. Ganze Heerscharen machen sich morgens auf, den Gipfel über den östlichen und südlichen Bergpfad zu erklimmen. Die beiden Wanderwege hinauf sind zwar nur je 2,5 Kilometer lang, von der Länge sollte man sich aber nicht täuschen lassen. Es geht über Fels und Stein, durch nasse Senken. Die Anstiege sind schweißtreibend und knackig.
Fast senkrecht zum Gipfel
Die ganz Sportlichen wagen sich an den Grottstigen, den "Höhlenpfad", dessen Leitern fast senkrecht in Richtung Gipfel führen, oder nehmen die verschiedenen Routen der Via Ferrata in Angriff, den Klettersteigen an den Felswänden des Skuleberget.
Egal, welchen Weg man genommen hat: Oben angekommen gibt es für alle eine typische schwedische Fika, also eine kurze Pause mit Kaffee und Zimtschnecke, im Gipfelcafé Toppstuga - gekrönt vom schönsten Panorama der Höga Kusten. Die Gefahr, in dem Café zu versumpfen, ist angesichts der astronomischen Preise für Bier und Wein zwar nicht allzu groß, doch mancher Aufsteiger fährt dennoch lieber mit der Seilbahn runter.
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