Das Beste an den Briten ist ihr Humor. In Brighton zeigt er sich an der Strandpromenade: Sollte hier nicht eine Statue von Richard Russell stehen? Zur Würdigung jenes Mannes, der Brighton im 18. Jahrhundert zum ersten Seebad Europas erkoren hat?
Aber: keine Statue. Nur eine Gedenktafel. Sie hängt an dem Haus, in dem Russell einst lebte, heute das Hotel Royal Albion. Auf der Tafel ein Satz zu Russell, dann steht da noch: "If you seek his monument look around" - "Wenn du sein Denkmal suchst, sieh dich um." Also, let's take a look around!
Das Wahrzeichen der Stadt liegt am Wasser. Der Brighton Palace Pier mit seinem berühmten Schriftzug lädt blinkend auf eine Vergnügungsmeile ein, die ins Meer hineinragt.
Das Angebot: eine skurrile Mischung aus Kirmes, Casino und Hokuspokus. Neben Fahrgeschäften und Glücksspielautomaten floriert in Brighton die Wahrsagerei. Am Pier kann man auch Königspaar spielen - liegt nahe, London und damit auch der Buckingham Palace ist ja nur eine Stunde mit dem Zug entfernt. Die Fotowand, durch die man hier seine Köpfe stecken kann, zeigt King Charles und Gemahlin Camilla. Bei den Royals ist man also auch in der quirligen Stadt an der Südküste Englands "up to date", ansonsten ist hier vieles alt. Sehr alt.
Ein hedonistischer Prinz
Schon 1753 fiel der Startschuss zum Baden in Brighton: Der britische Arzt Richard Russell hatte sich gerade in der Stadt niedergelassen. Zuvor hatte er eine Schrift veröffentlicht, in der er schrieb, wie gesund es sei, Zeit am Meer zu verbringen.
Neben dem "dipping" riet Russell den Menschen zum "drinking" - sie sollten also nicht nur ins Meerwasser steigen, sondern es auch trinken. Nun, manche medizinischen Empfehlungen werden zum Glück mit der Zeit überholt.
Die Stadt jedenfalls wuchs. Zählte man in den 1780er Jahren noch rund 3600 Einwohner, waren es 1831 schon mehr als 40 000. Großen Anteil daran hatte auch König George IV. Er kam um 1780 in die Stadt, damals noch als Prinz von Wales, und war gleich sehr angetan. "Drinking, womanising and gambling", beschreiben sie in Brighton seinen Lebensstil. Frauengeschichten und Glücksspiel also, und man darf davon ausgehen, dass sich "drinking" in dem Fall nicht auf Meerwasser bezieht.
Im Gegensatz zu Russell hat George IV. eine Statue bekommen. Sie steht neben dem Royal Pavilion, dem Palast im orientalischen Stil, den der Adelige in seiner Lieblingsstadt errichten ließ. Mit seinem prächtigen Garten ist das Anwesen ein beliebtes Ausflugsziel.
Im angeschlossenen Kunstmuseum, das auch über Brightons Stadtgeschichte informiert, findet sich schließlich auch ein Porträt von Mediziner Russell: Pausbacken, Perücke. Streng. Man möchte ihm Badehose und Cocktail reichen.
Heutzutage leben knapp 280 000 Menschen in Brighton, und pro Jahr kommen ungefähr acht Millionen Besucher. Mit der Zugverbindung von London in das Seebad begann Mitte des 19. Jahrhunderts der endgültige Aufstieg des Fischerdorfes zum touristischen Hotspot.
Einige Eckdaten: 1866 wurde der Westpier mit Theater, Wintergarten und Orchester eröffnet, 1872 das Aquarium, das sich als "ältestes, durchgehend geöffnetes" Aquarium der Welt bezeichnet, 1899 der berühmte Palace Pier, die Vergnügungs-Seebrücke. Der Palace Pier und das Aquarium stehen noch, der Westpier brannte 2003 ab. Nun ragt er als Skelett aus dem Meer.
Brightons Strandpromenade ist weitläufig. Vom Osten mit High-End-Unterkünften am Jachthafen bis zur futuristischen, höhenbeweglichen Aussichtsplattform i360 an einem gut 160 Meter hohen Turm im Westen sind es vier Kilometer.
Kleine Elektrobahn
Dazwischen liegen alle möglichen Welten: Luxus-Swimmingpool nur für Mitglieder oder Beachvolleyball für alle. Eiscreme für Hunde oder klassische Fish&Chips-Buden. Und: Volk's Electric Railway.
Die weltweit erste elektrische Bahn verkehrt seit 1883 an der Promenade und verbindet das Stück zwischen Palace Pier und Black Rock, einem östlichen Strandabschnitt. Bummelwaggons in Creme und Rostbraun, die wirken wie aus einem Wes-Anderson-Film - antiquiert, surreal und auf ihre Art: hübsch.
Vieles in Brighton mag renovierungsbedürftig sein. Die verwitterten Bänke oder verrosteten Balustraden am Strand etwa. Die Stadt aber ist jung, bunt, lebendig.
Kurs mit deutschem Bäcker
Spaziergang durch das Viertel Kemptown. Im Schaufenster eines Buchladens liegen ein Buch über schwule Väter und ein Ratgeber für Eltern mit Transkindern. Drinnen arbeitet Remony Hart. Brighton sei nicht so konservativ wie London, erzählt die 23-Jährige. In der Hauptstadt seien die Leute außerdem immer gehetzt.
Weiter durch die Nachbarschaft: In einer Bäckerei werden Sauerteig-Backkurse mit einem deutschen Bäcker angeboten, ein Geschäft verkauft Bekleidung für Hunde, die an Schwimmwesten oder Handgepäck erinnert, in einem Café kann man zwischen 37 Sorten Säften und Smoothies auswählen.
Im schicken Hove, das westlich ans Zentrum Brightons grenzt und den viktorianischen Prachtboulevards nach Leute mit Geld beheimatet, ist das Straßenbild kaum anders: ein feministischer Buchladen hier, dort ein Geschäft für teure Wandfarben, an den Leinen der Menschen laufen Windhunde. Hafermilch im Café ist Standard.
Auch einen Besuch wert sind The Lanes im Zentrum: Schmale und verwinkelte Gassen mit besonderen Boutiquen, Brightons ältestem Pub ("The Cricketers"), netten Cafés und kleinen Restaurants.
Spazieren und Baden
Spazierengehen reicht in Brighton völlig aus zur Unterhaltung, doch man kann auch Touren buchen. Das Angebot ist dabei so vielfältig wie die Stadt. Eine abendliche Führung auf den Spuren von Geistern durch die Lanes? Eine Angeltour raus aufs Meer? Night-Dining in der Aussichtsplattform i360? Nicht zu vergessen ist das grüne Umland von Sussex, das zu ausgedehnten Rad- und Wandertouren einlädt.
Am besten aber man hält es schlicht - und folgt Robert Russell. Denn bei all dem Trubel bleibt das Meer die Hauptattraktion.
Nach Feierabend sammeln sich Bewohner und Touristen gleichermaßen am langen Kieselstrand, zum Angeln, Lesen, Grillen, Flirten, Gassigehen. Oder, das gibt es ja auch noch: einfach nur zum Schwimmen. Der gute Russell empfahl ja schon vor fast 300 Jahren, ganz einzutauchen.
Infos zu Brighton
- Einreise: Mit Reisepass (auch vorläufige) oder Kinderreisepass
- Hinkommen: Direkte Zugverbindung vom südlichen Flughafen London-Gatwick nach Brighton. Fahrtzeit gut 30 Minuten, einfaches Ticket ab umgerechnet rund zwölf Euro www.southernrailway.com
- Übersicht zu Touren in Brighton und Sussex mit Links zu Anbietern online beim lokalen Tourismusbüro: www.visitbrighton.com
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