Altenstadt/WN. (ca) Er lebt bei Tante und Onkel, denen er 2015 auf die Flucht mitgegeben wurde. Das Ganze war so nicht geplant. Ursprünglich wollten die Familien gemeinsam aufbrechen. Bei Ebrahims Eltern verzögerte sich der Verkauf ihres Hauses, ohne den sie die Reise nicht finanzieren konnten.
In Aleppo fielen Bomben. Tag und Nacht. Ebrahims Freund starb durch eine Detonation auf dem Weg zur Schule, die dann ohnehin geschlossen wurde. Ins Hausdach krachten Flugzeugteile. Die Eltern schickten den Siebenjährigen schließlich mit der kinderlosen Tante in die Türkei voraus. Man dachte an "zwei, drei Wochen", die man sich nicht sehen würde. Am Ende scheiterte der Hausverkauf, und die Türkei machte die Grenze dicht.
Die Eltern und zwei größere Geschwister (damals 16 und 17) saßen in Syrien fest. Ihr "Kleiner" schlug sich mit Onkel und Tante nach Norden durch. Er rumpelte im offenen Bus durch türkisches Bergland, wo er aus dem Wagen fiel und über spitze Steine einen Hang hinunter kullerte. Tante Najah rollt einen Kugelschreiber die Tischdecke entlang, um zu zeigen, was sich da abspielte. Ebrahim stieg in der Nacht in ein Boot, in größter Angst. Im Morgengrauen landete man auf einer griechischen Insel. Die Fähre brachte sie aufs Festland, es ging weiter mit dem Bus, immer mal zu Fuß. Und irgendwann waren da deutsche Polizisten.
Die Familie ist dankbar für die hilfsbereite Aufnahme in der Gemeinde Altenstadt/WN. Die Vermieter sind freundlich, die Nachbarn, der Fußballverein, die Lehrer und Mitschüler. Im Zeugnis steht: "Ebrahim prägt durch seine rücksichtsvolle und hilfsbereite Art positiv das Klassenklima." Die Altenstädterin Vera Brieger betreut die Familie ehrenamtlich. Und natürlich tut ihr der Bub leid, der mit jedem Tag niedergeschlagener wird.
Nadelöhr: Botschaft Beirut
Die ganze Hoffnung lag im Familiennachzug, der ab 2016 zwei Jahre ausgesetzt war und seit 1. August 2018 wieder eingeschränkt möglich ist. Aus humanitären Gründen erteilt Deutschland monatlich 1000 Eltern, Ehepartnern und minderjährigen Kindern von subsidiär Geschützten eine Aufenthaltserlaubnis. Ebrahims Eltern haben einen Antrag bei der deutschen Botschaft in Beirut gestellt. Jetzt warten sie seit über sieben Monaten auf den nötigen Termin.
Das Problem liegt in Beirut. Die deutsche Botschaft ist heillos überlastet. Die Terminlisten sind voll. Die angespannte Situation in den Botschaften und Konsulaten der syrischen Nachbarländer war diese Woche Thema im Innenausschuss des Bundestages, wie Abgeordneter Uli Grötsch (SPD) bestätigt. Das Auswärtige Amt weist auf Wartezeiten von bis zu acht Monaten hin, "in Einzelfällen auch länger": "Wir bitten von Nachfragen abzusehen." Man warnt vor Betrügern, die frühere Termine gegen Geld anbieten.
Vielen Antragstellern läuft die Zeit davon. Mit der Volljährigkeit erlischt der Anspruch bei Kindern. Jost Hess vom Weidener Arbeitskreis Asyl hat solche Fälle erlebt. Bei einem 15-Jährigen, der 2015 ankam, scheiterte die Zusammenführung erst an seiner Flüchtlingsanerkennung. Als er diese hatte, wurde 2016 der Familiennachzug ausgesetzt. Und als es diesen 2018 wieder gab, bekamen seine Eltern ihren Botschaftstermin kurz nach seinem 18. Geburtstag. Auch Ebrahims Geschwister werden nicht kommen dürfen: Die Schwester ist 19 Jahre alt geworden, sein Bruder 20.
Es geht nicht vor - und nicht zurück. Wer frustriert aufgibt und über den Libanon nach Syrien zurückkehren will, wird vom Auswärtigen Amt vor einer bösen Überraschung am Beiruter Flughafen gewarnt: "Es mehren sich Hinweise", dass Syrern die Einreise verwehrt werde, wenn türkische Ein- und Ausreisestempel fehlen. Fluglinien verlangen inzwischen auf dieser Strecke immer öfter, dass vorsichtshalber ein Rückflugticket nach Deutschland gelöst wird.
Letzte Woche Giftgas
Aleppo. Das war einst zauberhafte orientalische Märchen-Stadt mit dem Souk al-Madina, einem der größten überdachten Märkte der arabischen Welt. Ein Gewirr von Gassen, mit alten Steinpflastern, Arkaden und geschnitzten Holzfassaden. ."In Aleppo konnte man kaufen und laufen. Die ganze Nacht", sagt Najah. "Es war eine schöne Stadt." Heute liegt kein Stein mehr auf dem anderen. Letzte Woche detonierten Raketen mit Giftgas. Es gab 107 Verletzte, 46 mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Regierung und Rebellen bezichtigen sich gegenseitig.
Ebrahim schaut nicht Fernsehen. "Nur Fußball." Cristiano Ronaldo findet er gut. Leibspeise? Knödel und Cola. Lieblingsauto? "Lamborghini!" Sein Lieblingsfach? Mathe. Sein größter Wunsch? Mama und Papa.
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