Ein Mann mit Aktentasche und Thermoskanne betritt die Bühne, scheinbar fremd in dieser Umgebung und eher etwas unbeholfen sucht er seinen Platz. Doch er ist mehr als er scheint. Er ist der Verhörspezialist Thomas, dem Wanja Mues ein Gesicht gibt, und wie später zu erleben war auch einen höchst ambivalenten Charakter, der in einer Person den Good Cop und den Bad Cop vereinigt und sein Opfer mit höchst aggressiven Verbalattacken und nervenzerreissenden Banalitäten quält. Er weiß scheinbar alles über das Leben der mutmaßlichen Terroristin, der er ein Geständnis entreißen will. Eine Vorstellung, die in Zeiten von Hackern und Datenlecks, von Facebook und Wikileaks so manchem im Kreis der Zuschauer höchstes Unbehagen verursacht.
Die Frau mit dem Namen Judith, im wahren Leben die Schauspielerin Jacqueline Macaulay, ist Philosophie-Professorin und wurde gegen 22 Uhr am Heiligabend von der Polizei aus ihrem Wagen geholt und zu dem Verhörraum gebracht. Ihr wurde jegliche Auskunft verweigert, weder wusste sie um das Warum ihrer Festnahme noch ob sie als Angeklagte oder nur als Zeugin vernommen werden soll. Im Laufe der Handlung wird deutlich, dass sie verdächtigt wird, eine Bombe gelegt zu haben, die um Mitternacht zünden sollte. Das - übrigens unberechtigter Weise von der Polizei beschlagnahmt - ist eine Datei auf ihrem Laptop, in dem die Tat angekündigt wird. Vergeblich beschwört sie, dass es sich dabei nur um ein Planspiel für ein Seminar handelt.
Wanja Mues und Jacqueline Macaulay liefern sich unter der Regie von Jakob Fedler aus dieser Situation heraus ein Psychoduell, wogegen Hannibal Lecters Spielchen mit Clarice Starling im "Schweigen der Lämmer" wie eine nette Plauderei wirkt. Mit allen Tricks, Falschinformationen, einem gefälschtem Geständnis von Judiths Ex-Mann, mal scheinbar einfühlsam an das Gute im Menschen appelierend, mal unverhohlen drohend, mit Methoden die stark an die Inquisition erinnern, aus deren Fängen es für die beklagenswerten Beklagten auch kein entkommen gab, versucht der Befrager sein weibliches Gegenüber zu zermürben. Aber als Philosophieprofessoren kann Judith intellektuell dagegenhalten, ja sie verunsichert Thomas gelegentlich mit einer gehörigen Portion Arroganz.
In diesem Hin und Her, in dem sich die beiden Darsteller sowohl in ihren Rollen als auch in ihrer Darstellung nichts schenken, bleibt das Publikum aber immer im ungewissen, wer denn nun die "Wahrheit" auf seiner Seite hat und wer nicht. Wie in einer Schlacht wechseln Jacqueline Macaulay und Wanja Mues die Standpunkte, bereiten Angriffe vor und parieren die der Gegenseite.
So entspannt sich ein spannendes, manchmal verstörendes aber immer die Aufmerksamkeit des Publikums fordernd ein Dialog, der den Darstellern alles abverlangt und der die gespannte Erwartung der Zuschauer nicht enttäuscht und sie ein wenig ratlos zurück lässt, da es über den eigentlich Sachverhalt - nämlich ob da wirklich eine Bombe existierte oder nicht - im wahrsten Wortsinn im Dunkeln gelassen wird.
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