Der Mann hatte das Wort in dem Artikel "Aufstand des Gewissens" gelesen. Ein Gastbeitrag von Heribert Prantl, bei der Süddeutschen Zeitung Mitglied der Chefredaktion. In ihm erinnert sich Prantl an den August 1968, als Truppen des Warschauer Pakts unter Führung der UdSSR in die Tschechoslowakei einmarschierten und den Prager Frühling mit Waffengewalt beendeten. Zum Prager Frühling schreibt Prantl unter anderem: "Prag war, so schien es, ein Günstling des Glücks - und die neuen Freiheiten wirkten wie ein gesellschaftspolitisches Aphrodisiakum. Ein Land erwachte, ein Land lachte, ein Land hoffte."
Der Leser aus Pfreimd schickte der Redaktion daraufhin eine "kleine Anmerkung" und ließ sie wissen: "Mir fällt des Öfteren auf, dass in unserer Heimatzeitung Wörter verwendet werden, die für den Normalbürger unverständlich sind." Der Mann nennt als Beispiel "Aphrodisiakum" und fragt sich: "Warum muss das alles so abgehoben sein?"
Nun gibt es bei "Aphrodisiakum", einem durchaus schwierigen Wort, ein kleines Problem: Der Duden kennt dafür kein Synonym, also ein bedeutungsgleiches oder -ähnliches Wort. Autor Heribert Prantl "musste" praktisch das "Aphrodisiakum" so verwenden, wie er es in dem Artikel im übertragenen Sinne getan hat, sonst hätte er die von ihm getroffene Aussage nicht in der gewollten Form rüberbringen können.
"Handy" sagt fast jeder
Der Mann aus Pfreimd ist mit seiner Meinung nicht allein: Immer wieder wenden sich Leser an uns und beklagen sich über in Texten auftauchende Fremdwörter. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vom August 2016. Das Ergebnis damals: Die meisten Bundesbürger stören sich am häufigen Gebrauch von Fremdwörtern, verwenden aber selbst oft welche. Veranschaulicht wird dies mit diesem Beispiel: Sie sagen "Handy" und "Internet" und finden das völlig "okay".
Aus dem Englischen stammende Wörter, also Anglizismen, lehnten 71 Prozent der Befragten ab. Zugleich gaben mehr als 90 Prozent an, sie würden ständig, oft oder zumindest hin und wieder Wörter wie "okay" oder "Internet" benutzen. Ältere äußerten mehr Sorge um die deutsche Sprache. 82 Prozent der über 60-Jährigen meinten: "Wir müssen aufpassen, dass die deutsche Sprache nicht verwässert wird." Nur 52 Prozent der 18- bis 29-Jährigen stimmten ebenfalls dieser Ansicht zu. "Allgemein zu viele Fremdwörter" beklagten 78 Prozent der Befragten über 60, während lediglich 46 Prozent der unter 30-Jährigen damit Probleme hatten.
Sprache ist anpassungsfähig
"Cool" finden 64 Prozent der Befragten ständig, oft oder hin und wieder etwas - Jüngere allerdings häufiger als Ältere. Vom "Handy" wiederum sprechen alle Altersgruppen. Im Durchschnitt nutzen 89 Prozent dieses Wort, das im Englischen jedoch kein Mobiltelefon bezeichnet, sondern soviel wie "nützlich", "praktisch", "handlich" bedeutet. Die dem Englischen entlehnte Wendung "Sinn machen" verwenden immerhin 56 Prozent der Befragten.
Hans-Ulrich Brandt schrieb daraufhin im Weser-Kurier: "Okay", "cool", "Handy" oder "Internet" seien eigentlich längst keine Fremdwörter mehr. "Sprache ist nämlich anpassungsfähig. Würden wir heute noch wie zu Goethes Zeiten sprechen, wäre das weltfremd und unökonomisch. Aus unserem Wortschatz verschwindet, was sich nicht durchsetzt. Die Bezeichnung ,tragbares Telefon' versteht zwar jeder, ist aber dem viel kürzeren Konkurrenzbegriff ,Handy' gnadenlos unterlegen. So einfach funktioniert Sprache - schon immer."
"Prallsack" statt "Airbag" - das ist weder verständlicher noch schöner, sagte Lutz Kuntzsch, Leiter Sprachberatung und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gesellschaft für Deutsche Sprache (Wiesbaden), in einem Interview zum Thema. Eine Redakteurin der Frankfurter Neuen Presse fragte ihn: Wann gehört ein Fremdwort zur deutschen Sprache?
Die Antwort von Kuntzsch lautete: "Wenn es etabliert ist und verstanden wird. Als höchste Stufe gilt, wenn es dann auch im Duden steht. Bei ,Internet' und ,okay' etwa ist das der Fall. Wer meint, dass das Deutsche ohne Fremdwörter auskommt, hat ein falsches Verständnis von Sprache. Ohne Fremdwörter könnten wir uns gar nicht unterhalten."
(kan) „Wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch.“ Ein Zitat von Professor Dr. Walter Krämer, dem Vorsitzenden des Vereins Deutsche Sprache. Es steht am Ende des Kapitels „Anglizismen“ in unseren Leitlinien für die tägliche Arbeit in der Redaktion, verfasst von Thomas Schaller, dem stellvertretenden Chef vom Dienst. Er hält fest:
„Fremdwörter erschweren es dem Leser, einen Text schnell zu verstehen. Deshalb lautet eine journalistische Regel: Auf Fremdwörter möglichst verzichten. Unsere Hausschreibung unterstützt dieses Ziel. Meist sind Fremdwörter ohnehin überflüssig, weil auch das Deutsche vielfach den richtigen Begriff hat. Besonders die Anglizismen entlarven sich häufig als ein Nachäffen des pseudomodernen PR-Gewäschs, mit dem die englischhörige Werbebranche ihren Ergüssen einen jugendlichen, weltmännischen Anstrich verleihen will. Das klingt dann nicht nur peinlich, sondern ist im Deutschen oft auch definitiv falsch.“
Es gehe aber nicht darum, alles Englische zu verteufeln. Denn: „Viele englische oder aus dem Englischen erworbenen Begriffe haben sich etabliert und drücken etwas prägnant und für jeden verständlich aus.“ Schaller führt als Beispiele „Handy“, „online“, „Internet“ und „PR“ an.
Auch wenn wir Redakteure die Leitsätze für unsere Arbeit kennen – im Tagesgeschäft passiert es dennoch, dass sich Anglizismen in Texte oder Überschriften mogeln. Liebe Leser, machen Sie uns gerne darauf aufmerksam, wenn Ihnen so etwas auffällt. Damit Anglizismen weniger werden.
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