Die Sonate in D-Dur op. 28 trug schon in der Londoner Erstausgabe von 1805 den Beinamen „Sonata pastorale“, dessen Urheber der Hamburger Verleger August Cranz war. Die Idee einer Ton-„Malerey“ (Beethoven 1809 relativierend zur 6. Sinfonie „Pastorale“), einer Naturschilderung trifft aber nicht. Eher mag man an Wagners Ideal eines „sich naturhaft-organisch entfaltenden Tonsatzes“ denken. Es spiegelt sich in unperiodisch wachsenden, nicht streng abgegrenzten Themen, im Verzicht auf die Konflikt-Dramatik gegensätzlicher Gedanken. Schuchs klug konzipierte Interpretation meidet denn auch effekthaschende oder pathetisch aufgebürstete Gesten, zielt auf Fluss und Klangschattierung. Meisterhaft delikat gelingen die quasi gezupften Bässe im d-Moll-Andante, das sinnierende Innehalten bei rezitativischen Momenten, der Witz im skurrilen Scherzo.
Scharfe Selbstkritik
Neue Impulse mit weit greifenden Auswirkungen tragen die Sonaten op. 31 von 1801/02 in sich. „Ich bin mit meinen bisherigen Arbeiten nicht zufrieden, von nun an will ich einen anderen Weg beschreiten“ sagte der über-selbstkritische Beethoven zu Carl Czerny. So hat die abschließend virtuos gespielte Es-Dur-Sonate op. 31/3 keinen wirklich langsamen Satz. Auch sonst baut Beethoven immer wieder Hör-Erwartungen auf, die er dann überraschend oder gar nicht einlöst. Mit Spaß zelebriert Schuch in der G-Dur-Sonate op. 31/1 das Spiel mit den nachklappernden Akkorden. Atemberaubende Größe verleiht er dem 9/8-Adagio-grazioso mit seinen improvisatorisch wirkenden Läufen. Beim abschließenden „Geschwisterwerk“ in Es beleuchtet er witzige und ironisierende Momente und hat noch genug Energie für die übermütige wie handfeste Schluss-Tarantella.
Sturm- und Stern-Stunde
Die „poetischen Ideen“ von denen schon zu Beginn die Rede war finden sich dann tatsächlich in der d-Moll-Sonate op. 31/2 mit dem Beinamen „Der Sturm“ – bezogen auf das Werk Shakespeares. Das sollte nicht ohne Folgen bleiben: Für die „Neudeutsche Schule“ (Berlioz, Liszt, Wagner, Strauss) öffnete diese Sonate die Tür zur romantischen Programm-Musik. Herbert Schuch spielt sie ganz nach vorne blickend: Nicht mehr klassisch-streng in der Rhythmik, sondern mit frei atmender Agogik, wie man sie bei Schubert, Chopin oder Schumann anwendet. Wie würde er das Rezitativ mit den abgehobenen Dämpfern spielen? Sie verschwimmen oft zu einem kakophonischen Klangbrei. Schuch lässt sie wie aus fernen Träumen pianissimo herüber klingen – so funktioniert der Effekt, wenn auch nicht so gut wie auf einem historischen Hammerklavier von Broadwood oder Graf. Die Sturmsonate, gespielt mit solchem Konzept, mit Klangsinn, Suggestion und Leidenschaft – sie bleibt das überragende Erlebnis des Abends, ja der bisherigen Konzerte.
Der Applaus will nicht enden, zum Abkühlen Clara Schumanns „Variationen über ein Thema von Robert Schumann“ op. 20.
Mit Verärgerung angemerkt von vielen Besuchern: Erneut wird parallel ein Konzert angesetzt, diesmal genau zur gleichen Stunde. Dabei sind die (überragenden) Abende mit Schuch langfristig geplant und publiziert. Kunde Konzertbesucher ist da nicht König. Kollegialer Dialog und Flexibilität sind gefordert!
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