Der Pressefreiheit in Deutschland „geht es alles andere als gut“, wird Bundesvorsitzender Mika Beuster in einer Mitteilung des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) zitiert. Er untermauert seine These mit den tätlichen Angriffen auf Reporterinnen und Reporter, etwa bei Demonstrationen, aber auch mit der „Flut“ von Hasskommentaren und digitalen Bedrohungen. „Je näher politische Großereignisse wie Wahlen kommen, desto stärker stehen wir Journalisten am Pranger“, weiß Beuster.
Aus Sicht des DJV-Chefs dürfe die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit (Deutschland steht auf Platz 10), kürzlich veröffentlicht von der Organisation Reporter ohne Grenzen, von der Politik nicht „als Feigenblatt für die eigene Untätigkeit“ missbraucht werden: „Weder die Bundes- noch die Landespolitik hat irgendetwas unternommen, um die Pressefreiheit zu stärken“, beklagt Beuster. Er appelliert an alle Medienschaffenden, verbale und tätliche Übergriffe unbedingt anzuzeigen. Denn: „Gegen Medienhasser hilft nur die Justiz.“
Nicht alle Parteien antworten
Aus Anlass des Welttags der Pressefreiheit Anfang Mai hatte der DJV die im Bundestag vertretenen Parteien nach dem Stellenwert des im Grundgesetz verankerten Grundrechts der Pressefreiheit gefragt, nach Handlungen der Parteien zu dessen Stärkung, aber auch nach möglichen Gefahren, etwa durch Künstliche Intelligenz (KI) im Journalismus. Geantwortet, so teilte der Verband mit, hätten alle Parteien, bis auf die AfD, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Zu diesem Zeitpunkt war die neue Rangliste der Pressefreiheit noch nicht erschienen, befand sich Deutschland nicht auf dem jetzigen Platz 10, sondern auf 21. Wie der DJV berichtet, reagierten die Parteien darauf mit "Erschrecken" (FDP), "Verurteilung von Gewalt" (CDU), "Verurteilung auf das Schärfste" (SPD) und mit der Forderung nach "voller Härte des Rechtsstaats" (CSU). Eine Antwort von den Grünen sei ausgeblieben.
"Mehr Polizeischutz" bei Demos
Die Grenzen der Pressefreiheit sähe die SPD "in den Bereichen Persönlichkeitsrecht, Jugendschutz, Volksverhetzung und Diskriminierung", die CSU in den "Persönlichkeitsrechten", die FDP im "Presse- und Medienrecht" und die Grünen im "Straf- oder Persönlichkeitsrecht". Die CDU setzt sich dem DJV zufolge dafür ein, dass Übergriffe "zivil- und strafrechtlich verfolgt werden".
Auf die Frage, wie sich die Pressefreiheit stärken lässt, reichten die Antworten laut DJV von "mehr Polizeischutz bei Demonstrationen" (SPD und Grüne) über "verbesserte Sicherheitsmaßnahmen" (FDP) bis zu "Projekte zur Förderung der Medienkompetenz" (CDU). Unterschiedlich stünden die Parteien zu möglichen Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Pressefreiheit: Die SPD befürchte Manipulationsgefahr, die FDP fordere einen verantwortungsbewussten Umgang, die CDU wittere "enorme Chancen", CSU und Grüne betonten die "journalistische Sorgfaltspflicht".
DJV-Bundesvorsitzender Beuster rief die Parteien nach der Befragung dazu auf, sich entschieden für den Fortbestand und den Ausbau der Pressefreiheit einzusetzen. "Dieses Grundrecht ist unverzichtbar für die Demokratie", unterstrich er. "Befremdlich" fand es Beuster, dass AfD, Linke und BSW keine Antworten geschickt hätten.
"Mehr Übergriffe im Umfeld von Wahlen und eine Rekordzahl von Ländern mit katastrophalen Bedingungen für Medienschaffende: Die Lage der Pressefreiheit hat sich im weltweiten Vergleich weiter deutlich verschlechtert": So kommentiert Reporter ohne Grenzen (RSF) die Rangliste der Pressefreiheit 2024. Im vergangenen Jahr hätten sich 36 Länder in der schlechtesten Wertungskategorie befunden, so viele wie seit mehr als zehn Jahren nicht. Unabhängige journalistische Arbeit sei in diesen Ländern praktisch unmöglich. "Das zunehmende Ausmaß der Gewalt gegenüber Medienschaffenden, die über Wahlen berichten, ist eine erschreckende Entwicklung. Autokraten, Interessengruppen und Feindinnen der Demokratie wollen mit allen Mitteln unabhängige Berichterstattung verhindern", schlägt RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus in einer Pressemitteilung Alarm.
Der "Aufstieg" Deutschlands von Platz 21 auf 10 ist für den Deutschen Journalisten-Verband indessen "kein Grund zum Aufatmen". Auch Reporter ohne Grenzen gibt zu bedenken: Betrachte man die Gesamtpunktzahl, habe sich die Situation in Deutschland in Wirklichkeit nur geringfügig verbessert, und das auch nur in der Kategorie Sicherheit. Der Sprung auf Position 10 sei zudem der Tatsache geschuldet, dass sich viele andere Länder auf der Rangliste verschlechtert haben.
Wie in der Vergangenheit, hätten die skandinavischen Länder die Spitzenplätze unter sich ausgemacht: Zum achten Mal in Folge liegt Norwegen auf Platz 1. Gründe für die gute Platzierung seien unter anderem die große Unabhängigkeit der Medien von der Politik, der gesetzliche Schutz der Informationsfreiheit sowie der traditionelle Pluralismus der norwegischen Medienlandschaft.
Ähnlich gut seien die Voraussetzungen für journalistische Berichterstattung in den Nachbarländern Dänemark (2) und Schweden (3). Unter den Top 5 kämen nur die Niederlande (4) - vor Finnland (5) - nicht aus Europas höchstem Norden. In dem Land werde die Pressefreiheit traditionell gut durch Gesetze, Staat und Behörden geschützt.
Pressefreiheit "kein Luxus"
Dass die Pressefreiheit "kein Selbstläufer" ist, dass sie auch in Deutschland verteidigt und weiterentwickelt werden müsse, das hatte vor gut einem Jahr zum wiederholten Male der renommierte Journalistik-Experte Horst Pöttker betont. "Pressefreiheit ist nicht nur ein Recht von Verlegern und Journalisten, sondern auch das Recht des Publikums, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, wie es im Grundgesetz heißt", sagte der emeritierte Professor für Theorie und Praxis des Journalismus in einem Interview. Für das Publikum sei es viel schwieriger geworden, geprüfte und professionell verantwortete Informationen von irgendwelchen anderen Mitteilungen zu unterscheiden.
Für Pöttker ist die Pressefreiheit daher "kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit".
Rangliste der Pressefreiheit
- Die Rangliste vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien
- Sie stützt sich auf fünf Indikatoren: Sicherheit, politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftliches Umfeld, soziokulturelles Umfeld
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