Jedes Ding hat normalerweise zwei Seiten. Welche davon in den Vordergrund tritt ist, hängt oftmals von der Sichtweise ab. Was Gemälde betrifft, ist diese Sachlage einerseits nahe liegend, andererseits schwierig. Die übliche Hängung an der Wand nimmt dem Betrachter sozusagen von vornherein die Chance auf umfassende Inansichtnahme.
Skizzen zu Porträts
Damit ist im Kunstforum Ostdeutsche Galerie nun Schluss. Schon seit Längerem sind in der Schausammlung des Regensburger Museums vier Gemälde so angebracht, dass sie von vorne und hinten betrachtet werden können. Eine aktuelle Sonderausstellung hebt doppelseitige Bilder nun ganz besonders hervor. "Verborgene Doppelbilder" lautet der Titel der Schau. Zu sehen sind hier ausschließlich Arbeiten, die vorne und hinten bemalt sind. August Brömse etwa malte, so stellt sich nun heraus, auf der Rückseite seiner detaillierten Arbeit "Witwe" einige Skizzen zu Porträts und Landschaften.
Bei Ida Kerkovius findet sich hinter einem Steinbruch ein Frauenporträt. Moriz Melzer gab dem Ort "Trautenau" den Vorzug gegenüber Schloss Weimar, das auf die Rückseite verbannt wurde. "Beidseitig bemalte Leinwände oder Holztafeln sind eine wenig bekannte, aber nicht seltene Kuriosität", äußert man sich von Seiten den Kunstforums. Dass dies nichts Unübliches ist, wurde den Wissenschaftlern dort aber wohl aufgrund einer aktuellen Situation so richtig bewusst: Im Rahmen der Provenienzforschung, für die es im Kunstforum Ostdeutsche Galerie seit einigen Monaten eine eigene Stelle gibt, wird der Bestand des Hauses derzeit unter die Lupe genommen. Dass die Bilder infolgedessen nicht nur von hinten untersucht, sondern auch der Öffentlichkeit gezeigt werden, ist ein interessantes Entgegenkommen.
Frei im Raum
Eingelassen in Stellwände, die frei im Raum stehen, können die Doppelbilder der aktuellen Ausstellung von vorne und hinten betrachtet werden. Hans Hartigs "Häuseransicht" kommt nun ebenso ans Licht wie sein "Marktfest am Hafen von Cammin in Pommern". Gory von Stryks "Bildnis Hildegard von Stryk" ist nicht länger hinter einer "Küstenlandschaft mit zwei Booten" verborgen.
Aus praktischer Sicht ist die Nutzung beider Seiten eines Bildträgers nachvollziehbar. Ernst Ludwig Kirchner brachte den Aspekt der bestmöglichen Nutzung von Leinwand und Holz einst auf den Punkt: "Auch ich muss etwas sparen jetzt und das Material ist sehr kostspielig geworden. Aber die Leinwand hat Gott sei Dank zwei Seiten."
Kunsthistorisch betrachtet sei es oftmals gerade die Rückseite eines Gemäldes, die Hinweise zu Herkunft oder Entstehungsgeschichte liefere, heißt es in der Schau zur Bedeutung von Doppelbildern. Solche Notizen, Stempel oder Klebezettel sind nun auch dem Museumsbesucher zugänglich. Jede Sache hat zwei Seiten. Die Sichtweise darauf ist im Kunstforum Ostdeutsche Galerie nicht länger durch Hängung gelenkt.
Service
„Verborgene Doppelbilder“ läuft bis 8. September im Kunstforum Ostdeutsche Galerie (Dr.-Johann-Maier-Straße 5 in Regensburg). Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr (an diesem Tag ab 17 Uhr freier Eintritt). Weitere Informationen unter Telefon 0941/297140. (wsu)
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.