Eine Grenztragödie von vielen: In Bonn regiert noch Helmut Schmidt mit einer sozialliberalen Koalition, als die Simons aus Wallhausen in Sachsen-Anhalt beschließen, der DDR den Rücken zu kehren.
Die Flüsterpropaganda wollte wissen: Keine Grenze ist schwerer zu überwinden, als die deutsch-deutsche. Deshalb entschließen sich Rolf und Petra mit dem achtjährigen Sohn Michael und der neunjährigen Tochter Jana, das Abenteuer Republikflucht von der Tschechoslowakei aus zu wagen. Vielleicht wären die tschechischen Grenzbeamte ja an ostdeutschen Grenzgängern weniger interessiert als an den eigenen Landsleuten.
Von Beamten misshandelt
Der Plan scheitert. Besonders tragisch: Die Simons hatten sich wohl schon auf bayerischem Boden befunden, als sie wieder zurückgetrieben wurden. Am 16. Mai 1982 wird die vierköpfige Familie von Grenzbeamten aufgegriffen und im Dorf Doubrava (Bezirk Cheb), bekannt für seine schmucken Häuser mit Egerländer Fachwerk, durchsucht. Für die Schönheiten der böhmischen Dörfer dürften die Simons kein Auge gehabt haben.
In einem Brief von 1997 an Adolf Razek von der Behörde für Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus beschreibt Rolf Simon den misslungenen Fluchtversuch sowie Misshandlungen durch die Grenzbeamten: "Da ich kein Tschechisch und er kein Deutsch sprach, kam es zu vielen Missverständnissen, und jedes Mal schlug er auf mich ein. Ich wurde mit Handfesseln an einem Heizungsrohr festgebunden und mit einer Zigarette am Arm verbrannt." Mit verbundenen Augen habe er den Beamten zeigen müssen, wo die Familie die Grenze überschritten hatte.
Vater verstirbt 2016
Am Tag darauf wurde die ganze Familie ohne Gerichtsverfahren an die ostdeutsche Staatssicherheit ausgeliefert. Eine strafrechtliche Verfolgung der Eltern in der Tschechoslowakei sei "irrelevant ... angesichts der Bestrafung, die sie in der DDR zu erwarten haben". Die Strafe fiel erwartet drakonisch aus: Vater und Mutter mussten ins Gefängnis, die Kinder in ein Heim. Am 4. September setzt sich nun das Bezirksgericht in Cheb mit der Frage auseinander, ob sich die tschechoslowakischen Grenzschutzbeamten damals korrekt verhielten oder ob die Familie Simon unter das Gesetz der justiziellen Rehabilitierung fallen. Bisher sprachen bereits einige tschechische und slowakische Gerichte ostdeutschen Flüchtlingen Entschädigungen zu.
Der Fall, der jetzt in Cheb verhandelt wird, ist der erste, an dem eine ganze Familie teilnimmt - mit Ausnahme von Vater Rolf, der 2016 verstorben ist.
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