Fockenfeld bei Konnersreuth
09.03.2022 - 18:46 Uhr

Fockenfeld bereit für die ersten 50 Flüchtlinge aus der Ukraine

Abtschloss, Kloster, Spätberufenenschule – und jetzt Unterkunft für Flüchtlinge. Fockenfeld wird vom Hort geistiger Erbauung zum physischen Zufluchtsort. Seit Mittwochabend ist alles bereit für den ersten Ansturm.

Draußen liegt mehr als ein Hauch Frühling in der Luft. Drinnen werkeln Dutzende Helfer. Sie installieren Wlan-Router, beziehen Kopfkissen, verteilen Decken auf Feldbetten in den vielen Zimmern des sonnendurchfluteten Gebäudekomplexes: Das Gut Fockenfeld, wo sich bis 2020 junge Männer auf das Abitur und eventuell ein Priesteramt vorbereitet haben, verwandelt sich in eine Notunterkunft.

Für die ersten 50 Flüchtlinge ist an diesem Mittwoch alles vorbereitet. "Wir wissen nicht, wer kommt", sagt Regierungsdirektorin Regina Kestel, die sich gerade mit ihrem Krisenstab zur letzten Feinabstimmung besprochen hat. Sie weiß aber, dass das Ankerzentrum Regensburg bereits überquillt und die ersten zugewiesenen Flüchtlinge aus der Ukraine wohl in den nächsten Tagen auch im Landkreis Tirschenreuth eintreffen.

Kestel tritt mit den Vertretern des BRK, der Landratsamt-Abteilungen, der Polizei und der Eigentümergemeinschaft vor die wartenden Presseleute und meldet erleichtert Vollzug: Das Landkreis kann die geforderten 100 Plätze in einer Notunterkunft vorweisen. Und das auf relativ hohem Niveau. Denn es gibt Einzelzimmer, ausgestattet mit einfacher Möblierung und einer Nasszelle. Die Helfer haben zusätzliche Liegen aufgestellt, denn es werden viele Frauen mit Kindern erwartet.

Ruhe tut vielleicht gut

"Mit traumatisierten Kindern", ergänzt Regina Kestel. Was eventuell an sozialer Betreuung nötig ist, wird man sehen: "Wir gehen Schritt für Schritt vor. Das wichtigste ist erst mal ein Dach, ein Bett, etwas zu essen und ein gewisser Hygienestandard." Die ehemaligen Internatszimmer und Aufenthaltsräume der Spätberufenenschule sind einfach, aber sauber und warm. 120 Plätze sollen bis Ende der Woche zur Verfügung stehen.

Es ist keine große Turnhalle wie 2015, als der Landkreis schon einmal Hunderte Flüchtlinge unterbringen musste, hebt die Regierungsdirektorin hervor: "Hier können die Menschen nach allem, was sie erlebt haben, auch mal die Tür hinter sich zumachen." Die Lage außerhalb von Konnersreuth sei etwas abgeschieden, aber etwa Ruhe täte den Flüchtlingen vielleicht ganz gut.

Catering aus Konnersreuth

Für die Verpflegung sorgt früh und abends das Rote Kreuz. Das Mittagessen liefert der Konnersreuther Gasthof Schiml, erklärt die Chefin des Krisenstabs. Geführt werde die Unterkunft als 3G-Haus: Bewohner und Betreuer müssen gegen Corona geimpft, genesen oder getestet sein. "Wir haben 24 Stunden am Tag Security vor Ort", kündigt Kestel an. Diese Mitarbeiter sollen möglichst ukrainisch verstehen und als Ansprechpartner der Flüchtlinge dienen. Pressesprecher Wolfgang Fenzl bittet eindringlich darum, von neugierigen Besuchen in Fockenfeld Abstand zu nehmen. Auch Hilfsgüter sollten nicht einfach vorbeigebracht werden, sondern über die E-Mail-Adresse ukraine-hilfe[at]tirschenreuth[dot]de angeboten werden.

Mit im Boot bei der ganzen Vorbereitung und Betreuung ist der BRK-Kreisverband. Geschäftsführer Holger Schedl zeigt bei einem Rundgang die auf Vordermann gebrachte Ausstattung der Zimmer. "Menschen in bewaffneten Konflikten beizustehen ist unsere ureigenste Aufgabe", verweist er auf die Gründungszeit des Roten Kreuzes. "Es war keine Frage, uns zu beteiligen." Für ehrenamtliche Helfer, die nicht nur kurz mit anpacken, ist er immer dankbar: "Wir planen hier nicht für 14 Tage, sondern für einen längeren Zeitraum."

Infrastruktur voll intakt

Bernd Sommer, Bürgermeister von Waldsassen, spricht im Namen seiner Kollegen aus Mitterteich, Wiesau und Konnersreuth. Die neuen Eigentümer von Fockenfeld hätten ihre Gebäude gerne für Flüchtlinge angeboten, da sie viel geeigneter als große Hallen seien. Die Infrastruktur wie Heizung, Strom und Wasserversorgung funktioniere. Auch von der Geschichte des Hauses her passt der neue soziale Zweck gut in die Reihe, findet Sommer.

Der Bürgermeister spricht von einem "Freundschaftspreis" im kurzfristig kündbaren Mietvertrag mit der Regierung der Oberpfalz. Die Pauschale müsse natürlich den Aufwand decken. Langfristig schwebt den neuen Besitzern der Immobilie eine Nutzung mit Wohnen und Arbeiten vor. Schon jetzt hat eine Firma für ihre Fachkräfte Zimmer in Fockenfeld angemietet, ein Dienstleister will demnächst einziehen. Drei Patres und eine Haushälterin wohnen hier. Die Mutter-Kind-Gruppe Konnersreuth und der Billardclub Waldsassen haben ebenfalls einen Treffpunkt in Fockenfeld.

"Besonderer Ort"

"Das ist ein besonderer Ort und soll es bleiben", ist Sommer von der besonderen Atmosphäre angetan. "Ich hoffe, dass sich die Menschen hier sicher und aufgenommen fühlen." Während die Helfer im Gebäudeinneren letzte Hand anlegen, um den Flüchtlingen einen guten Empfang zu bereiten, ziehen die Mitglieder des Krisenstabs wieder ab. Zur nächsten Besprechung, zur nächsten Videokonferenz. "Fockenfeld ist eine gute Lösung", sagt Regina Kestel abschließend. "Aber ich weiß nicht, ob die Plätze hier ausreichen." Man ist auf der Suche nach dezentralen Wohnungen, aber auch weiteren Notunterkünften: "Bei prognostizierten 100.000 Flüchtlingen in Bayern müsste der Landkreis 578 Plätze bereitstellen."

Hintergrund:

Flüchtlinge haben Schutzstatus für ein Jahr

  • Verteilung:Für den Landkreis Tirschenreuth ist das Ankerzentrum Regensburg zuständig
  • Unterstützung:Die Flüchtlinge werden zugewiesen und wie Asylbewerber mit Sozialleistungen vom Staat unterstützt
  • Personenkreis: hauptsächlich Frauen und Kinder, da Männer zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine in der Regel nicht verlassen dürfen
  • Wohnungswahl: Flüchtlinge aus der Ukraine müssen nicht in der Sammelunterkunft bleiben, sondern können sich eine dezentrale Wohnung suchen
  • Schutzstatus: EU-Länder gewähren unbürokratischen Schutz für zunächst ein Jahr

"Das wichtigste ist erst mal ein Dach, ein Bett, etwas zu essen und ein gewisser Hygienestandard."

Regierungsdirektorin Regina Kestel

Regierungsdirektorin Regina Kestel

 
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