München
02.01.2019 - 16:55 Uhr

Magische Surrealität

Die Münchener Staatsoper präsentiert Smetanas "Verkaufte Braut" als dörflichen Komödienstadel. Erst im dritten Akt nimmt das Stück an Fahrt auf.

Erst mit der skurrilen Zirkusszene gewinnt die neue Inszenierung von Smetanas „Verkaufter Braut“ eine atmosphärische Verdichtung Bild: Wilfried Hösl
Erst mit der skurrilen Zirkusszene gewinnt die neue Inszenierung von Smetanas „Verkaufter Braut“ eine atmosphärische Verdichtung

Unter dem Dirigat on Tomás Hanus weckt die Ouvertüre Spannung. Nervös vibrieren die Geigen, während sich die einzelnen Motive entfalten. Zum Beispiel Kezals Werbespot als Heiratsvermittler, sozusagen ein Gigolo der 60er-Jahre mit einer Callboy-Telefonnummer, zielt auf simple Klischees.

Und es wird noch schlimmer. Regisseur David Bösch macht aus der "Verkauften Braut" der tschechischen Nationaloper einen dörflichen Komödienstadel: Marie und Hans, ein fremder Knecht, lieben sich. Doch Marie soll Wenzel, Sohn des reichen Micha heiraten. Heiratsvermittler Kezal bietet Hans sogar eine Abfindung an, wenn er auf Marie verzichtet. Hans geht auf den Deal ein - er fordert seinerseits, dass Marie auf jeden Fall einen von Michas Söhnen heiraten müsse. Nach allerhand Durcheinander gibt sich Hans schließlich als zweiter Sohn Michas zu erkennen - und alles wird gut.

Dorftölpel und Heuhaufen

Die Bühne wird zum riesengroßen Heuhaufen. Förderbänder laufen über die Bühne - diese werden gekonnt in die Statisterie der Dorftölpel eingebunden und als Pissoir - inklusive Fontänenperformance - genutzt, wenn die Schlange beim Dorffest allzu lang wird. David Bösch kreiert Marie als plumpe, Kaugummi kauende Bauernmaid. Im Gegensatz dazu ist Hans zunächst der Dorfplayboy und Wenzel, der stotternde Bräutigam, reist mit einem vollen Sparschwein mit goldenem Schleifchen an. Exzellent erweckt David Bösch die dörflichen Klischees zum Leben - trotzdem wirken die ersten beiden Akte des Singspiels tröge.

Derb-trunkenes Spektakel

Das mag an den vielen Rezitativen liegen, zumal das Orchester sich ständig in den Vordergrund spielt und die Arien sich passagenweise überdecken. Trotz - oder gerade wegen des deutschen Librettos - bleiben Klangdifferenzierung, Dynamik und Textverständlichkeit auf der Strecke. Der gesellschaftskritische Aspekt einer Hochzeit als materialistisches Übereinkommen verschwindet im derb-trunkenen Spektakel. Umso mehr überrascht der dritte Akt. Mit dem schrägen "Offroad Circus" auf der Spitze des Heubergs, der inzwischen ein dampfender Misthaufen ist, entwickelt die stumpfe Dorfseifenoper eine magisch surreale Fellini-"La-Strada"-Melancholie.

Wunderbar tanzt Esmeralda auf dem Seil, strahlt der Sopran Anna El-Khashem, herrlich schräg orgelt das Orchester und findet gleich darauf eine klangvoll dynamische Balance zu den Sängern. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke jubiliert als verliebter Wenzel im Bärenkostüm (Kostüme: Falko Herold), Irmgard Vilsmeier setzt als Michas Frau markante Hörakzente. In den Hauptrollen brillieren Günther Groissböck als Kezal, Pavol Breslik (Hans) und Selene Zanetti (Marie).

 
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