Pro von Sebastian Böhm: Ein Transfer für seriöse Romantiker
Viele beschwören um den Kane-Transfer ein Wechsel-Theater herauf, das es so überhaupt nicht gibt. Alle Hoffnungen auf eine peinliche Vorstellung des FC Hollywood sollten sich spätestens am Freitag in Luft aufgelöst haben. Denn es ist ein guter Transfer, der absolut Sinn ergibt und auch von Bayern-Seite seriös abgewickelt wurde. Wieso? Werden wir doch mal analytisch.
Aus sportlicher Sicht ist Harry Kane (30) eine große Verstärkung. Er schließt eine Lücke. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft ist ein Garant für Tore, ein Kopfballkönner und eiskalt vom Elfmeterpunkt. Zudem ist er ein Führungsspieler. Er ist außerdem nicht besonders verletzungsanfällig (Klopf auf Holz). Kane sollte also noch mindestens drei Jahre Topleistungen bieten. Für Mathys Tel (18) wäre die Aufgabe, alleine den Bayern-Angriff zu stemmen, noch viel zu groß. Wer etwas anderes behauptet, ist ein naiver Fußballromantiker. Und die Romantik im Weltfußball beginnt sowieso erst, wenn es glitzernde Medaillen zum Umhängen gibt.
Die wirtschaftliche Sicht: Klar, die Summen im Fußball sind Irrsinn. Doch abgesehen von allem moralischen Kopfzerbrechen, ist es für den FCB nicht entscheidend, ob er jetzt 30 Millionen Euro mehr oder weniger einmalig nach London überweist. Wichtig ist, dass sich Kane unauffällig in das Gehaltsgefüge der Münchener einfügt. Und sollten alle aktuellen Meldungen stimmen, ist das gelungen. Schließlich liegt der Engländer demnach auf dem Niveau von Sadio Mané, den man ja erfolgreich von der Gehaltsliste streichen konnte. Also rund 20 bis 25 Millionen Euro im Jahr.
Contra von Fabian Leeb: Willkommen in der Unterwelt
Einhundertzwanzig Millionen Euro! Für einen 30-jährigen Briten, der noch nie außerhalb seiner Londoner Wohlfühloase auf Torejagd gegangen ist! Der nur mehr ein Jahr lang Vertrag bei Tottenham Hotspur hat! Das ist selbst in dem an Perversionen so übersättigten Geschäft Profifußball abartig.
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Bayern auf dem internationalen Transfermarkt den Ton mit angaben. Die Verzwergung der Münchener im Weltfußball wurde offensichtlich, als sich die bayerischen Chefverhandler vom Londoner Zirkusdompteur Daniel Levy am Ring durch die Hotspur-Manege haben ziehen lassen. Damit sind die Bayern endgültig angekommen – in der fußballerischen Unterwelt, in der sich die Scheichs, Oligarchen und „Multi-Club-Owner“ gegenseitig mit Fantastilliarden bewerfen. Kritik vom Tegernsee an diesem unwürdigen Gebaren umweht so künftig ein Hauch von Lächerlichkeit.
Anstatt sich wohltuend davon abzuheben und – wie jahrzehntelang erfolgreich praktiziert – „nur“ die nationale Konkurrenz zu schwächen, spielen Hoeneß und Co. nun dieses abartige Spiel mit. Aber nur weil nun ein Harry Kane in vorderster Front für Tore sorgen soll, garantiert dies noch längst keine Siege über Manchester City oder Real Madrid.
Der gerne gerühmte Umbruch und das Vertrauen in hoffnungsvolle Talente waren nicht mehr als heiße Luft. Natürlich kann sich ein Mathys Tel im Training viel vom teuren Neuzugang abschauen, doch wie wusste schon Hermann Gerland: „Ein Training ersetzt keine Spielpraxis.“ Und die wird Tel künftig kaum mehr erhalten.
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