Ein Mammutwerk. Sergej Prokofjew brachte es einst unter dem Eindruck des deutschen Überfalls auf Russland im Zweiten Weltkrieg zu Papier - nun startet das Nürnberger Staatstheater damit in die Saison 2018/2019: "Krieg und Frieden".
Selbst in der gekürzten Form, von fünf auf fast dreieinhalb Stunden, benötigt es 72 Sänger und aufwendige Vorbereitungen - eine wahre Herausforderung, die der neue Intendant Jens-Daniel Herzog und sein Team hervorragend meistern. Eigentlich sollte das Drama, das Prokofjew kurz vor seinem Tod (1953) noch einmal überarbeitete, ja "Frieden und Krieg" heißen, schließlich steht im ersten Teil die Liebesgeschichte im Mittelpunkt, in die Natascha, Andrej und Pierre verwickelt sind.
Hier zeigt sich die hohe Ausdruckskraft der Sänger. Jochen Kupfer verleiht dem Fürsten Andrej Bolkonski, der in der Schlacht von Austerlitz schwer verwundet wurde und den Glauben an das Glück verloren hat, eine wohltemperierte Baritonstimme. Eleonore Marguerre (als Natascha Rostowa) verzaubert mit jugendlicher Frische und lyrischen Momenten. Zurab Zurabishvili stattet den reichen Grafen Pierre Besuchow mit ebenso reicher stimmlicher Prägnanz aus.
Die vierte Ebene
Intendant Jens-Daniel Herzog, der Regie führt, arbeitet in seiner Inszenierung vier Zeitebenen heraus: Die Zeit der Handlung von Roman und Oper, also Napoleons Russlandfeldzug 1812; die 60er-Jahre des 19. Jahrhunderts, als Tolstoi den Roman geschrieben hat und ergänzend die Zeit der Entstehung, also 1941, als sich Geschichte zu wiederholen schien. Damals fiel ein riesiges europäisches Heer in Russland ein - Marschall Kutusow hieß nun Stalin, der den Feind unter größten Opfern aus dem Land trieb. "Die vierte Zeitebene führt in die Gegenwart", unterstreicht Herzog im Interview, "in der das lang verdrängte Kriegsgespenst wieder dicht an uns heranrückt".
Napoleon auf dem Monitor
Schwarze Klappwände, die hin- und herschwingen und rasch neue Welten eröffnen; ein Schützengraben, durch den Soldaten kriechen; viel Schwarz und Dunkel - Mathis Neidhardt besitzt ein geschicktes Händchen für beeindruckende Bühnenbilder. Da springen unvermittelt bewaffnete Männer durch eine Wand und kündigen mit tosendem Ton den drohenden Krieg an, Bomben fallen im Rhythmus der Musik, eine riesige Wand kippt nach vorne, so dass eine dicke Rauchwolke in den Besucherraum wabert - an diesen Stellen rückt der Krieg dem Zuschauer unter die Haut. Zwei Bildschirme zeigen Nachrichten aus aller Welt, auch Napoleon flimmert über die Monitore.
Die neue Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz bringt die farbige und vielschichtige Musik von Prokofjew zum Leuchten. Lyrische Szenen, die an Tschaikowsky erinnern, betörende Walzerklänge, dazu Prokofjews herber Unterton - eine Ohrenweide breitet sich vor dem Zuhörer aus. Mallwitz dirigiert das alles mit klassischer Klarheit, kitzelt die russische Seele heraus und präsentiert Musik als opulentes, die Sänger stets im Blick behaltendes Fest. Wenn am Ende der Chor an der Rampe steht und den Sieg über den Feind besingt, entsteht erneut Gänsehautatmosphäre und der Gedanke: Wie lange müssen sich Menschen gruseln und grausen, bis sie ihre Komfortzone verlassen und dem Leben dienen?












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