Nürnberg
27.11.2019 - 11:20 Uhr

Vom ständigen Kampf ums Überleben

Nürnberger "West Side Story" nimmt weltweite Flüchtlingskrisen in den Blick und übt Kritik an der alltäglichen Respektlosigkeit. Regie führt die Amerikanerin Melissa King.

Zwei rivalisierende Jugendgangs machen sich das Leben schwer: Die Jets als "echte Amerikaner" und die Sharks, die vor einigen Jahren aus Puerto Rica ins Land gekommen sind. Bild:  Bettina Stoess
Zwei rivalisierende Jugendgangs machen sich das Leben schwer: Die Jets als "echte Amerikaner" und die Sharks, die vor einigen Jahren aus Puerto Rica ins Land gekommen sind.

Man mag es nicht glauben: Vor 47 Jahren wurde die "West Side Story" zuletzt in Nürnberg neu inszeniert. Damit sich das ändert, hat man im Staatstheater eine Regisseurin engagiert, die mit Leonard Bernsteins Erfolgs-Musical eine Menge Erfahrung hat. Die US-amerikanische Choreographin Melissa King brachte den New Yorker Bandenkrieg bereits in Bad Hersfeld, Bonn, St. Gallen, Linz und sogar im Amphitheater von Epidauros auf die Bühne. Auch die Rolle der Anita, Freundin von Bernardo, dem Anführer der „Sharks“, hat sie schon verkörpert. Beste Voraussetzungen also für eine gelungene fränkische Version - und man darf es an dieser Stelle verraten: in Nürnberg ist sie bereits ein echter Renner!

Der Rassismus in ihrer Heimat, aber auch die Wut und der Hass, die sich im Internet entladen, sind Gründe für Melissa King, Bernsteins Klassiker in die Moderne zu hieven. Den Auftakt dazu schafft das fantastische Bühnenbild (Knutz Hetzer), eine große Mauer mit Graffitis, Sprüche wie "Send Them Back" und "Build That Wall", daneben das Konterfei von Donald Trump - wenn das keine deutliche Ansage ist: "Wir leben in einer Zeit, in der jeder das Recht hat, andere Menschen mit Respektlosigkeit zu behandeln", so formuliert es die Regisseurin im Programmheft.

Die Kämpfe der beiden Straßen-Gangs, Jets und Sharks, deren Wut und Zorn ("ghetto rage"), werden in dieser "West Side Story" ausgeweitet ins Hier und Heute. Eindrücklich geschieht das in den tänzerischen Kampfszenen, die eine Menge Symbolik enthalten: die Tänzer bewegen sich aufeinander zu, angreifend und verteidigend, verkörpern aber auch die Widrigkeiten der Existenz und Auseinandersetzungen mit dem eigenen Selbst. Hinzu kommt die Musik, die von der Staatsphilharmonie Nürnberg unter dem Dirigat von Lutz de Veer zu einem farbig schillernden Klangteppich gewebt wird. Die typische Kombination aus lateinamerikanischen Schlagwerken aufgerüsteter Rhythmusgruppe, variablen Bläsern und einer klassischen Streichersektion überzeugt bis zum Schluss.

Trotz aller aktueller Bezüge darf man die Hits dieses Musicals nicht vergessen. Unvergängliche Evergreens wie "Maria", "Something's Coming", "America", "Tonight" – sängerisch sind sämtliche Interpreten und Interpretinnen on top. Andromahi Raptis und Hans Kittelmann, zwei hauseigene Opern-Darsteller, ergänzen sich in den Hauptrollen von Maria und Tony überaus facettenreich. Insgesamt ergibt sich ein Gesamtkunstwerk aus Aktualität, Aggressivität und Appell: "Ich hoffe, dass das Publikum das Theater verlässt mit dem Wunsch, ein bisschen mitfühlender zu werden. Das wäre schön", sagt Melissa King.

„West Side Story“ am Staatstheater Nürnberg; die nächsten Vorstellungen: 2. und 6. Dezember 19.30 Uhr, 15. Dezember 19 Uhr, 23. Dezember 19.30 Uhr, 31. Dezember 15 und 19.30 Uhr.

Karten beim Ticketservice von NT/AZ/SRZ unter Telefon 0961/85-550, 09621/306-230 oder 09661/8729-0

www.staatstheater-nuernberg.de

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.