Dichter Nebel wabert über die Bühne. Sphärenklänge ertönen. Ein Raumschiff schwebt vom Himmel herab. Merkwürdige Wesen huschen durch die Türen des Weltengleiters. Sie wirken wie aus einer anderen Welt. Wahn oder Wirklichkeit? Märchen, Mystik, Manie oder Manifestation einer irrealen Realität? In dem poetisch verrätselten Musical "Lazarus", das David Bowie und der irische Dramatiker Enda Walsh erschufen, geht es um Tod und Auferstehung, um Endlichkeit und Erlösung. Die Premiere im Staatstheater Nürnberg katapultiert die Zuschauer in einen atemberaubenden Kosmos rasant vorbei rauschender Bilder, der lange nachhallt und mit viel Beifall belohnt wird.
Rätselhaftes Requiem
Als David Bowie sein rätselhaftes "Requiem" vollendet hatte, befand er sich aufgrund einer Krebserkrankung längst in einem Zustand zwischen Leben und Tod. Er starb kurz nach der Uraufführung, die er im Januar 2016 in New York noch miterleben durfte. Das Staatstheater Nürnberg ist eines der ersten deutschen Häuser, in denen das Stück zu sehen ist. Regisseur Tilo Nest, 2009 bis 2017 Ensemblemitglied am Burgtheater Wien und seit 2017 am Berliner Ensemble, bringt das Werk als eine Art Fiebertraum auf die Bühne.
In einem Warteraum zwischen Hier und Jenseits begegnen dem Außerirdischen Thomas Jerome Newton noch einmal die Wesen, die in dem Science-Fiction-Film "Der Mann, der vom Himmel fiel" von 1976 eine Hauptrolle spielen. "Ich bin von dieser Figur nie wirklich losgekommen," berichtet Bowie einmal in einem Interview: "Ein Mann im Fegefeuer, zwischen Leben und Tod festsitzend." Das Musical ist quasi die Fortsetzung und zeigt Newton als Gefangenen auf der Erde, der sich mit Gin betäubt und sich nach Erlösung sehnt. Als sein Mädchen auftaucht, eine Verlorene wie er, schöpft er neue Hoffnung: Wird er mit ihrer Hilfe die Welt doch noch verlassen können?
Während die Story nicht unbedingt stringent verläuft, reihen sich 17 Bowie-Song wie ein biografischer Rückblick aneinander. Natürlich ist der Titel aus dem Abschiedsvideo "Lazarus" dabei, aber auch "This Is Not America" oder die großartige und herzzerreißende Hymne "Heroes". Sascha Tuxhorn in der Rolle des Newton zelebriert diese Musik weniger stimmlich, mehr gestisch und mit körperlicher Präsenz. Sängerisch brillieren da eher Pauline Kästner als "Das Mädchen", an das Newton seine ganze Hoffnung hängt und der stimmstarke Nicolas Frederick Djuren als mörderischer Luzifer Valentine. Wenn dieser vom Himmel herab schwebt und dem auf dem Boden liegenden Newton tief in die Augen schaut, ist das ein starker Moment.
Emotionales Labyrinth
An solchen beeindruckenden und unter die Haut gehenden Ideen fehlt es auch sonst nicht. Die Hebebühnen bewegen sich ständig nach oben und unten, so dass der Betrachter letztlich den Überblick verliert, wo und was jetzt eigentlich gespielt wird. Für den passenden Bowie-Sound sorgen Kostia Rapoport und Vera Mohrs (beide musikalische Leitung) mit einer acht-köpfigen Band, die mitten auf der Bühne agiert und so tief ins emotionale Labyrinth mit einsteigt.
Währenddessen zeichnet Newtons Mädchen das Wort "Hope" (Hoffnung) an alle möglichen Wände - sie stirbt tatsächlich zuletzt. Und der Titel des Musicals deutet an, worauf Bowie vielleicht letztlich vertraute. "Lazarus" ist Hebräisch und bedeutet übersetzt "Gott hat geholfen!" Das ewige Leben wird hier allerdings nicht zum Trost, sondern eher zu etwas Bedrohlichem. Der Nürnberger "Lazarus" konfrontiert mit letzten Fragen, ohne fertige Antworten zu liefern. Das ist sicher keine leichte Kost - aber eine hohe Kunst!
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