Susan O'Neill – Now In A Minute (Star House Collective)
2021 erschien ein Kollaborationsalbum mit Mick Flannery „In The Game“, das in jenem Jahr das meistverkaufte Independent-Album in Irland war und für den Choice Music Prize sowie das RTE Radio 1 „Best Folk Album Of The Year“ nominiert wurde. In Deutschland blieb diese Kollaboration mit dem bekannten irischen Troubadour mehr oder minder ungehört. Jetzt legt die Singer/Songwriterin nach, Flannery ist noch dabei, rutscht aber in die zweite Reihe. Wer dieses Jahr ein James-Cullum-Konzert besucht hat, konnte diese Songs bereits nur am Klavier begleitet in seinem Vorprogramm hören, wer auf dem Haldern-Pop-Festival war, durfte sie in Begleitung des Stargaze Orchestra in vollem Ornat bewundern. Und wer sich jetzt diese Konserve anhört bekommt von beidem: da sind die intimen, reduzierten Folk-Stücke und da gibt es auch die eher fulminant und euphorisch geratenen Folk-Pop-Lieder. Was immer gleich ist: diese außergewöhnliche, zugleich zarte als auch zupackende Stimme, die Vergleiche zu Amy Winehouse oder Adele nicht zu scheuen braucht.
Dekel – Starlings (Dekel Music)
Darf man schreiben, dass eine Künstlerin wunderschöne braue Rehaugen hat oder ist das schon sexistisch? Egal, die israelische Singer/Songwriterin hat eben welche und der Vergleich führt uns auch direkt zu ihren Naturmetaphern und ihrer Liebe zu den Tieren. Denn trotz des Überfalls der Hamas auf Israel und des Krieges in Gaza blickt die Musikerin – melancholisch zwar – optimistisch in die Zukunft. Ihr Folk hat den Geschmack ihrer Vorfahren aus dem fernen Russland, das Akkordeon, die Violine, das Cello und die Klarinette lassen dezentes Klezmer-Feeling aufkommen, aber auch das französische Chanson ist nicht fern. Der Okzident feiert mit dem Orient so manches Stelldichein, wirklich wichtig und eben wunderschön (wie auch die Augen …) ist aber die warme, ehrliche, so natürliche und unverstellte Stimme, die einen sofort gefangen nimmt und die Musikerin ungemein sympathisch rüberkommen lässt.
Orville Peck – Stampede (Warner)
Der in den USA lebende, weiße Südafrikaner mit der charakteristischen Zoro-Maske und dem Cowboyhut eröffnet sein drittes Album mit der queeren Hymne von Willi Nelson, „Cowboys Are Frequently, Secretly Fond Of Each Other“ – und der alte Zottel singt natürlich auch selbst mit, „Stampede“ ist nämlich eines dieser Duett-Alben, die sich nicht umsonst immer größerer Beliebtheit erfreuen. Peck zerrt dazu erwartbare, aber eben auch eine ganze Reihe überraschender Gäste ans Mikrofon und diese Gästeliste zeigt, welchen hohen Stellenwert der Mann in der Community inzwischen genießt. Sir Elton ist nämlich mit dabei, Beck ebenfalls und selbst Kylie Minogue ließ es sich nicht nehmen, hier mitzuwirken. In der zweiten Reihe glänzt Rauröhre Nathaniel Rateliff neben Allison Russell, Noah Cyrus oder Margo Price und im abschließenden „Rhinestone Cowboy“ treffen TJ Osborne, Waylon Payne und Fancy Hagood aufeinander. Ein großer Spaß ist das!
Jungle By Night – Synergy (Bertus)
Die Niederländer eröffnen ihr neues Album gleich herrlich retro mit einer Computerstimme. Apropos Stimme: Erstmals erscheint mit „Synergy“ kein reines Instrumental-Album, man hat sich Gäste wie Pitou, Spinvis, Meral Polat, Sef und Merol ans Mikrofon geladen und wer des Niederländischen oder Arabischen mächtig ist, mag sich auch an den Lyrics erfreuen. Ansonsten serviert der quirlige Siebener seinen gewohnt schwer groovenden Mix aus analoger Dance-Musik, Funk, 70s/80s-Sounds, Krautrock, Electronic, Ethio-/Ethno-Jazz und Afrobeats. Weltmusik für den Dancefloor.
Eleni Drake – Above Deep Water (MNRK)
Eine Spezialität der britisch-griechischen Singer/Songwriterin und Produzentin ist es anscheinend, Lieder gerne mal in eine ganz andere Richtung laufen zu lassen. „Orange Velvet“ beginnt als hauchzarte Folk-Preziose, um dann plötzlich in einen fetzigen Indie-Pop-Song zu explodieren. Dem folgenden „Singing Elvis“ ergeht es ganz ähnlich. „A Spotless Mind“ bleibt sich als fragiles Lullaby treu, „Daisy“ galoniert dann nach dem zaghaften Start fast Richtung Country und das abschließende „Let It Be“ ist (leider) keine Hommage an die Fab Four, dafür aber eine weitere feine Folkübung in betulicher Langsamkeit geworden – atmosphärisches E-Gitarren-Solo inklusive.
Desperate Journalist – No Hero (Cargo)
Wirklich verzweifelt scheinen diese Journalisten und Journalistinnen nicht zu sein, eher sardonisch und mit schrägem Humor sehen sie ihr aktuelles Leben und die Zukunft. Sängerin und Texterin Jo Bevan weiß dieses Lebensgefühl in die richtigen Worte zu kleiden und es mit dunklem Timbre zu intonieren. Der leidenschaftliche Indie-Sound speist sich aus Post-Punk und -Wave, aus Gothic- und Synthie-Rock. Es hat stürmische Melodien, es hat gespenstische Klaviereinlagen, berserkerhafte Gitarrenausbrüche und flirrende Synthis-Flächen. Und es hat natürlich immer wieder diese mysteriöse Stimme, die vom hellklingenden Frohlocken bis zum melancholischen Dräuen alle Stimmungen abbilden kann.
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