Tanika Charles – Reasons To Stay (Record Kicks)
Bediente die kanadische Soul-Sängerin bis dato eher die typischen Herz-Schmerz-Thematik, reflektiert sie auf dem aktuellen Album ihre Kindheitstraumata, das tolle Bonanza-Rad auf dem Artwork könnte ein Hinweis darauf sein. Dem smoothen Retro-Soul-Sound tut das jedoch keinen Abbruch, auch schwierige Themen verpackt die Künstlerin in flüssig fließenden und herzzerreißen groovenden Seelen-Klang bei dem Streicher ebenso wenig fehlen wie eine knackige Bläser-Sektion. Allgegenwärtig sind auch diese köstlichen Gospel-Chöre im Background, die vorwiegend von den Soul-Künstlerinnen Aphrose und Claire Davis aus Toronto stammen. Kelly Finnigan von den Monophonics mischte den Großteil des Projekts ab und verlieh dem Ganzen den typischen analogen Schliff. Als weiterer Gast ist die aus Quebec stammende Soulful-Sängerin/Songwriterin Clerel auf dem letzten Stück „Win“ zu hören.
Rialto - Neon & Ghost Signs (Cargo)
Rialto, das ist Louis Eliot. Und der wäre vor ein paar Jahren fast und plötzlich verstorben. Diese Erfahrung war der Antrieb, sein Band-Projekt nach 24 Jahren wieder auferstehen zu lassen, sich nochmals jung zu fühlen und in die schwül-laszive Party- Szene Londons einzutauchen, einen Soundtrack dazu zu schreiben. „Neon & Ghost Signs“ klingt somit nicht nur als wäre diese Platte schon ein Vierteljahrhundert alt, sie klingt sogar noch älter, nach den späten 80ern und 90ern, nach Wave und New Romantics mit teils schmalzigen Streichern aus der Retorte oder zackigen Beats aus dem Drum Computer. Culture Club meets Duran Duran meets The Cure.
Jason Isbell - Foxes in the Snow (Thirty Tigers)
Jason Isbell ist hier solo und ganz akustisch unterwegs. Seine eindringliche Stimme und eine 1940er Martin 0-17 Akustikgitarre aus Mahagoni sind das Handwerkszeug. Die elf Songs auf handeln von klassischen Songwriter-Themen wie Versuchung, Einsamkeit und verlorener Liebe. Und natürlich verarbeitet Isbell hier auch die Scheidung von seiner Frau und Bandkollegin Amanda Shires, mit der er von 2013 bis 2023 privat und musikalisch eine Einheit bildete. Ein emotionales Thema, dem sich der 46-Jährige emotional ehrlich aber nie plakativ widmet. Wer Isbell pur mag, kann es sich hier bei illustren Geschichten gemütlich machen, die in nur fünft Tagen in den legendären Electric Lady Studios ausgezeichnet wurden.
Beirut - A Study of Losses (Pompeii Records)
„A Study of Losses“, ist eine Odyssee mit 18 Tracks, die vom schwedischen Zirkus Kompani Giraff für die gleichnamige akrobatische Bühnenshow in Auftrag gegeben wurde. Als freie Interpretation von Verzeichnis einiger Verluste, dem Roman der deutschen Autorin Judith Schalansky, reist das Album durch elf Songs und sieben erweiterte instrumentale Themen, die nach den Mondmeeren benannt und von der erschreckenden Geschichte eines Mannes inspiriert sind, der davon besessen ist, alle verlorenen Gedanken und Schöpfungen der Menschheit zu archivieren. Wie in Verzeichnis einiger Verluste schreibt Condon auch in „A Study of Losses“ über das Verschwinden, die Bewahrung und die Vergänglichkeit von allem, was wir kennen - ausgestorbene Tierarten, verlorene architektonische und literarische Schätze, den Prozess des Alterns und andere abstrakte Konzepte. Geprägt ist das schwermütige Werk durch das Cello und auch andere Streicher. „Disappearances and Losses“ eröffnet das Album mit Minimal Music a la Brian Eno, "Forest Encyclopedia“ und „Guericke's Unicorn“ klingen sogar ein wenig euphorisch und nach einem Spätwerk von David Byrne, beim „Moonwalker“ mischen sich gar Mariachi-Bläser ein, bevor Zach Condon beim Rest des Albums in barockem Kammer-Pop schwelgt. Wie man dazu Artistik außer vielleicht einen Rigolo-Act machen kann, bleibt indes schwer vorstellbar.
Rosettes – Lifestyles (Cargo)
Mit Finnland verbindet man Heavy und Dark Metal, vielleicht auch noch die Spitzbuben der Leningrad Cowboys. Dass aus dem kühlen Norden aber eine derart relaxt groovende, sonnenbeschienene Retro-Soul- & Funk-Scheibe rüber schwappt, konnte man nicht erwarten. Leadsängerin Tytti Roto erzählt ihre persönlichen Geschichten, dazu tummelt sich eine achtköpfige Band in allen Spielarten des psychedelisch angehauchten Soul, zitieren Acid Jazz, Blaxploitation- & Daptone-Grooves. Curtis Mayfield und Isaac Hayes sind nah, das Arrested Development oder Sault aber auch. Flöten, diverse Bläser, Congas und Bongos, warme Wummer-Orgeln und die Wah-Wah-Gitarre, dieses Oktett grooved im relaxten Mid-Tempo gut geölt wie ein Zwölfzylinder und lässt keine Wünsche offen.
Emma-Jean Thackray – Weirdo (Brownswood Recordings)
Kann sich jemand eine weibliche Ausgabe von Frank Zappa vorstellen? " Something Wrong With Your Mind“, der Opener auf Emma-Jean Thackray`s neuem Album weckt zumindest Assoziationen. Die klassisch ausgebildete visionäre Produzentin, Komponistin und Multiinstrumentalistin ist ja wie der zu früh verstorbene Maestro ebenso dafür bekannt, musikalische Grenzen auszuloten und auch zu überschreiten. Das tut sie zwar nicht in der Radikalität eines Frank Zappa, aber sie -sagen wir mal- kokettiert damit. Indie-Rock, Art-Pop, Soul, P-Funk und Jazz verschmelzen und umschmeicheln diese einzigartige, sehr schwarz klingende Stimme mit ihren Grooves wie man es sonst noch bei Meshell Ndegeocello und Erykah Badu findet. Ursprünglich als Meditation über Neurodiversität und psychische Gesundheit konzipiert, entwickelte sich „Weirdo“ nach dem unerwarteten Verlust ihres langjährigen Partners im Januar 2023 zu einem Album, das sich sowohl sehr persönlich als auch universell anfühlt. Mit komplexen Kompositionen, rohen Emotionen und einer unerschütterlichen Authentizität ist Weirdo ein Meisterwerk der Resilienz, eine Feier der Individualität und ein mutiger Schritt nach vorne für eine Künstlerin, die bald an der Spitze der britischen Musik stehen sollte
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