All Seeing Dolls – Parallel (Cargo)
Anton Newcombe steht sonst dem ziemlich wahnsinnigen und schräg-lautem Brian Jonestown Massacre vor. Für dieses Side-Projekt hat er sich mit der Sängerin und Multiinstrumentalistin Dot Allison zusammengetan. Diese bildet mit ihrer zart-fragilen Feen-Stimme – Mazzy Star`s Hope Sandoval ist nicht weit – den exakten Gegenpol zum verrückten Berserker und so entstehen in der Zusammenarbeit dunkel mäandernde Sound-Landschaften zwischen Shoegaze, Dark-Folk und Dream-Rock, die sich wie eine entschleunigte BJM-Ausgabe meets The Swans-Ausgabe lesen lassen.
Lutz Graf-Ulrich – Lüüls Lab (Kulturmanufaktur)
"Lutz Graf – Wer?" werden jetzt wohl die Meisten fragen. Aber der Mann zählt 73 Lenze, sieht immer noch aus wie keine 50 und hat deutsche Musikgeschichte (mit-)geschrieben. Bereits Ende der 1960er wo man in deutschen Landen Rockmusik noch nicht einmal buchstabieren konnte, bildete er mit Michael Hoenig, Burghard Rausch, Gustl Lütjens und Daniel Cordes die experimentelle Kapelle Agitation Free, die eine einzigartige Fusion aus improvisiertem Rock, Elektronik, Ethno-, Jazz-, World und Trance-Elementen spielte. Später folgten die 17 Hippies, das Reineke Fuchs Rocktheater und natürlich Ash Ra Tempel mit Klaus Schulze (später Tangerine Dream). Jetzt hat der Mann sein erstes, rein instrumentelles Solo-Album aufgenommen, bei dem die E-Gitarre im Zentrum des Geschehens steht. Außerdem spielt Graf-Ulrich noch E-Bow, Keys und ist für die Grooves und Sounds verantwortlich. Das klingt dann in etwa wie eine Agitation Free unplugged Session light -höchst entspannt bis spannend.
Ebba Åsman - When You Know (Bertus)
Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Album im Winter bei bis zu minus 30° in einer Waldhütte in Schweden aufgenommen wurde. Die studierte Posaunistin, Songwriterin, Komponistin und Produzentin wählte diesen Ort der Abgeschiedenheit, um endlich einmal abschalten und auf die eigene Stimme hören zu können, denn zum ersten Male singt sie auch selbst ihre anrührenden Kompositionen. Warum sie diese angenehme Stimme so lange zurück gehalten hat, bleibt ihr Geheimnis. Wie auch immer, dadurch geraten diese entspannt groovenden Kompositionen aus alternativem Jazz, R&B, elektronischen und Ambient-Klängen noch lockerer und zugänglicher, so dass auch Pop-Hörer keine Annäherungsschwierigkeiten haben sollten. Ist daher auch Alicia-Keys-, Erykah-Badu- und Milton-Nascimento-Fans empfohlen.
cleopatrick - FAKE MOON (Thirty Tigers)
Es ist schon beachtlich, das ein derart verwaschener und stolpernder Sound an die 100 Millionen Streams generieren kann, aber dem Gitarristen und Sänger Luke Gruntz nebst Partner und Schlagzeuger Ian Fraser aus Ontario ist genau das gelungen. Gitarrist und Multiinstrumentalist Mike Haldeman vervollständigt die Kapelle und steuert allerlei zusätzliche Sounds bei. Es klingt, als würden all diese schrägen Indie-Rock-Kapriolen nochmals durch einen speziellen Filter laufen, damit wirklich nichts mehr nach „normal“ klingt. Gruntz kann sich dabei nicht so recht zwischen Krach und Harmonie, zwischen Fuzz-Pedal und Lagerfeuer-Klampfe entscheiden, so dass das Ganze gleichzeitig nach Sonic Youth und Sebadoh klingt.
Nadia Maria – River (Obsessions)
Nadia Maria wuchs im Iran auf, lebt aber seit langem in Deutschland und arbeitet als Sängerin, Arrangeurin, Chorleiterin, Gesangs-Pädagogin, Dozentin und Coach, auch mit Johnny Clegg and Savouka, der WDR Bigband unter Jerry van Rooyen, mit Simon Phillips, Jack Bruce, Ziggy Marley und immer wieder Céline Rudolph. Mit ihr und einigen befreundeten Musikern aus Deutschland und Brasilien ist auch dieses, ihr zweites Album entstanden. So wunderschön es auch geworden ist, steht es unter einem unguten Stern, denn Maria bekam die Diagnose Alzheimer. So handeln ihre lyrischen Texte auch vom Loslassen, sich treiben lassen und die letzten Momente zu genießen. Die sanft perlenden, Jazz-informierten Folk-Kompositionen erinnern dabei ein wenig an die frühe Joni Mitchell und Abbey Lincoln.
Eli Greenhoe, Hans Bilger – Orchids (Adhyâropa Records)
Diese beiden Musiker stammen aus Brooklyn, Hans Bilger hat natürlich deutsche Wurzeln. Er ist dabei der Studiosus, seine Doktorarbeit in Bioakustik befasste sich mit der Stimmevolution von Fledermäusen, Fröschen und Menschen, und er veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten zur musikalischen Struktur des Vogelgesangs und der Anatomie des Vogelstimmapparats. Man merkt schon, hier werden nicht einfach zwei Stimmen und die Wanderklampfe bemüht, es geht doch ein weniger ernster zur Sache, sind die Kollegen doch auch im Fach moderner Klassik und Musique Concrète unterwegs, weshalb auch das Bergamot-Streichquartett mit eingebunden wurde. Was sich jetzt höchst seriös und auch ein wenig technokratisch anhört, entpuppt sich am Ende dann aber doch als meist flottierender, Chamber-Folk-artiger Liedreigen zwischen Nick Drake, Elliot Smith und Rufus Wainwright, den einen oder anderen Schlenker Richtung Kunst, Avantgarde und jazzigem Lullaby inklusive.
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