Frisch gepresst: Neue Musik aus allen Stilrichtungen und Ecken der Welt

Oberpfalz
16.03.2023 - 17:01 Uhr

Wir lernen einmal mehr: Kanada ist nicht nur das bessere Amerika, es hat auch die besseren Pop-Bands. In dieser Ausgabe: The Sarandons. Ron Sexsmith und die Kliffs aus Berlin beschenken aber ebenfalls mit gefühligen Tönen.

Ob Plattenteller, CD-Player oder Spotify-Playlist: Wir haben neue Musik für euch.

Kaskadeur – Phantom Vibrations (Edel)

Kaskadeur – Phantom Vibrations (Edel)

Das Potsdam-Berliner Klang-Kollektiv hat im Tempelhofer Flughafen einen Zwitter aus Kraut- und Prog-Rock aufgenommen. Der klingt mal ein wenig verspielt nach frühen Genesis wie auf „The Truth, The Curse, The Lie“, wo vor allem die Schlagzeugparts an Phil Collins erinnern, mal Orgel-betont wie bei Deep Purple oder Uriah Heep auf „Join The Cult“, mal progressiv Black-Sabbath-mäßig auf „The Post High Jitters“, mal über die Ecken gedacht wie auf „An Opportunity Gone By“, Gentle Giant lassen grüßen, oder sogar mal mit einem Hauch von Akustik-Jazz wie auf „Particle Physics“, wo man Brand X ins Spiel bringen könnte. Aber aufgemerkt, all diese Vergleiche sind nur Annäherungen! Die Kaskadeure werden ihrem Namen gerecht und vollziehen gar artistische, wenn auch eklektische Sprünge zwischen den (progressiven Rock-)Stilen.

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Tombajazz – Recollections (Tomstarecords)

Tombajazz – Recollections (Tomstarecords)

Ist das nicht der „Pink Panther“ von Henry Mancini? Ist er! Herr Tomba, ein Bassist, der sich das Instrument autodidaktisch aneignete, hat ein paar Kollegen der virilen Münchner Jazz-Szene um sich geschart und auch noch „Sweet Dreams“ von der Eurythmics und Joe Zawinuls „Recollections“ gecovert, der Rest sind Eigenkompositionen. Egal ob Fremd- oder Eigengewächs, der Sound ist betont funkig, es wird sich an den vielfältigen digitalen wie analogen Tasteninstrumenten, aber auch an der Gitarre, dem Schlagwerk, diversen Blasinstrumenten und natürlich dem Bass ordentlich ausgetobt und improvisiert. Das geschieht nie zum Selbstzweck, wobei diese solistischen Sperenzchen schon extrem gelungen und cool sind.

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Kety Fusco – The Harp Chapter I (Floating Notes)

Kety Fusco – The Harp Chapter I (Floating Notes)

Die Italienerin hat Harfe am Konservatorium studiert, seitdem ist das Instrument ihre Obsession geworden. Sie baut sich selbst Harfen zusammen, bearbeitet diese mit Haarnadeln, Steinen, Haartrocknern oder Vibratoren und erzeugt dabei Klänge, die eher an Synthesizer oder andere Tasteninstrumente gemahnen. Verstörende New-Age-Music mit Klängen, die Sie so noch nie gehört haben.

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The Sarandons – Sightlines (Flying Colours)

The Sarandons – Sightlines (Flying Colours)

Guckt man sich die Bandfotos an, fällt vor allem eines auf: Die Jungs aus Kanada sind für ein Debüt-Album verdammt alt. Nicht so alt wie der Sound, der hier gepflegt wird, denn der kommt geradewegs aus den 70ern, aber doch eher „solide“ denn „hip“. Und gerade dieses Unaufgeregte könnte den alten Knaben auch zum Verhängnis werden, denn modern oder gar revolutionär ist hier nichts. Wer jedoch auf gute Rock- und Pop-Musik steht, auch mal einen Schlenker Richtung Country und Americana verzeiht, zeitlose Melodien zu schätzen weiß, einen guten von einem schlechten Sänger unterscheiden und auch die vielen kleinen, exquisiten Gitarren-Solos goutieren kann, der ist hier richtig aufgehoben. Diese Platte hebt nicht die Erde aus den Angeln, es fühlt sich beim Hören aber erfreulicher an, auf ihr zu leben. Geheimtipp.

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Ron Sexsmith - Vivian Line (Cooking Vinyl)

Ron Sexsmith - Vivian Line (Cooking Vinyl)

Platten, auf denen einen Blockflöte vorkommt, sind ja schon per se gut, weil anders. Unser kanadischer Singer/Songwriter steht mit seinen knapp 60 Lenzen gut im Saft auf seinem nunmehr 17.(!) Album. Aufgenommen in Nashville unter der Aufsicht von Brad Jones (Josh Rouse, Shelby Lynne, Chuck Prophet, Patty Griffin, Matthew Sweet, etc) hat der sympathisch-zurückhaltende Künstler eine lebensbejahende, wundersam altmodische Platte aufgenommen, die ihre Inspirationen beim Melodien-Kanon der Kinks und Beatles abruft, bei denen der Künstler selbst immer mehr nach einem seiner großen Bewunderer Elvis Costello klingt. Wer hier wann von wem die orchestralen Arrangements abgeschaut hat, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Ein trotz seiner Zurückhaltung und Intimität barocker Liedreigen von zeitloser Schönheit.

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Jaimee Harris - Boomerang Town (Thirty Tigers)

Jaimee Harris - Boomerang Town (Thirty Tigers)

Die Singer/Songwriterin und Partnerin von Mary Gauthier (sie hat auch hier einen Song mitgeschrieben) erzählt aus verschiedenen Perspektiven introvertierte Lieder über das Leben in der Kleinstadt, über Liebe und Verlust, das Verlassenwerden, aber auch über Mut und Neuanfang. Die Melodien sind melancholisch getragen, die Instrumentierung streng akustisch wie minimalistisch, „Boomerang Town“ ist ein klassisches Singer/Songwriter-Album im besten Sinne des Wortes geworden, denn nicht die Musik steht hier im Zentrum, es ist die Stimme der Erzählerin und der Geschichten, von denen sie erzählt.

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Kliffs – After The Flattery (Backseat)

Kliffs – After The Flattery (Backseat)

Jeder Song des Albums des Berliner Duos ist konzipiert als einzelner Brief; an eine Schwester, einen Arbeitgeber, einen Weltuntergangsverschwörungstheoretiker, eine Schrift nach Hause vom Schauplatz eines epischen antikapitalistischen Protests oder ein Brief an einen verstorbenen Freund. Diese Briefe befassen sich mit einer Reihe von Themen, die die Kliffs berührt haben: von der Krise in einer persönlichen Beziehung, über den Versuch, in das Gehirn von jemandem einzudringen, der an das Jüngste Gericht glaubt, bis hin zum gerechten Kampf, der darin besteht, diejenigen zu töten, die als nicht gerecht genug erachtet werden. Starker Tobak, man muss sich beim Hören des Albums trotzdem nicht aus dem nächstbesten Fenster stürzen, denn dafür sind diese Melodien viel zu verführerisch, legt sich der Gesang wie eine warme Decke auf deinen Körper. Die beiden MusikerInnen spielten alles selbst ein, verwendet wurden „nur“ Instrumente, denen man auch selbst wohlklingende Töne entlocken konnte. So kommt der Rhythmus zwar ein wenig digital und kurz daher, dafür gibt es Flöten, ein Cello, das Klavier, die Klarinette, ein wenig Synthesizer und natürlich die Gitarre - alles schön sparsam, minimalistisch und intim gehalten. Sophie Hunger, Agnes Obel oder Gisbert zu Knyphausen scheint es gefallen zu haben, denn mit denen gingen Kliffs bereits als Support Act mit auf Tournee.

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Lucero - Should've Learned By Now (Thirty Tigers)

Lucero - Should've Learned By Now (Thirty Tigers)

Hätte Ben Nichols nicht dieses leicht nörgelnde, singulär-signifikante Reibeisen-Organ, man könnte diese Kapelle aus Memphis glatt überhören. Zwischen strammen Rock ´n´ Roll und gefühligem Americana pendeln diese Stücke, und es sind dabei Balladen wie „She Leads Me“ an die man sich lieber erinnert als an die Kracher. Für Freunde von Springsteen bis Petty, leider jedoch nicht ganz in deren Liga.

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