Es war ein ruhiger Vormittag im April 2000, als das schrille Läuten der Türglocke die Ruhe in dem großen Einfamilienhaus im Landkreis Cham durchbrach. Mit ihrer zweijährigen Tochter Annika auf dem Arm öffnete Katrin (alle Name von der Redaktion geändert) die Haustür und blickte in den Lauf einer Pistole. „Man muss immer für etwas büßen“, sagte die vermummte Frau ihr gegenüber im brüchigem Deutsch: "Ich bin da, um den Auftrag meines Chefs zu erfüllen, und den erfülle ich jetzt.“ Katrin bot ihr einen vierstelligen Geldbetrag an, ohne Erfolg. Die Unbekannte mit Sturmhaube drängte Katrin zurück in den Flur und schlug mehrfach mit ihrer Pistole zu. Dabei traf sie die Mutter am Kopf. Katrin stürzte zu Boden. Ihre Tochter fiel ihr vom Arm. Die Unbekannte beugte sich über Katrin und schnitt ihr mit einem großen Messer mehrere Haare ab. Verletzt flüchtete die 34-Jährige durch ein Fenster im Badezimmer zur Nachbarin. Von dort alarmierte sie die Polizei. Die Beamten durchsuchten wenig später das gesamte Haus. Doch von der Unbekannten und der Zweijährigen keine Spur. Außerdem fehlte ein Firmenwagen des Vaters.
Rund 250 Polizisten und eine Hundestaffel durchkämmten daraufhin die Gegend, auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Zeugen meldeten der Polizei, dass das gesuchte Fahrzeug etwa zwei Kilometer entfernt vom Tatort in einen Waldweg einbog. Am frühen Nachmittag, rund fünf Stunden nach der Entführung, entdeckten Beamten das verschlossene Auto im Wald. Annika saß auf dem Beifahrersitz. Vom Schlüssel fehlte jede Spur. Genau wie von der maskierten Frau. Die Polizei drückte die Fahrerscheibe ein und befreite das Mädchen aus dem Wagen. Die Zweijährige kam, genau wie ihre Mutter, zur Untersuchung ins Krankenhaus. "Sie sind sehr glücklich", beschrieb ein Polizeisprecher damals gegenüber der Presse die Gefühle der Eltern. Annika wurde "gesund und munter" in einem Auto gefunden.
Von der Kidnapperin mit den auffälligen Plateau-Schuhen fehlte weiter jede Spur. Bei der Motivsuche ermittelte die Polizei aufgrund der rätselhaften Äußerungen der Unbekannten auch in Richtung Racheakt. Am Nachmittag desselben Tages wurde eine 52-Jährige festgenommen, später aber wieder auf freien Fuß gelassen. Sie hatte laut Polizei ein "einwandfreies Alibi." Die Festnahme geschah wohl aufgrund einer vagen Vermutung der Mutter, spekulierten damals die Zeitungen. Die Polizei ging laut Pressesprecher davon aus, dass die Täterin mit der Familie in irgendeiner Weise in Verbindung stand. Monatelang suchte die Polizei nach der Frau. "Es wird aber zunehmend schwieriger", sagte ein Sprecher der Regensburger Polizeidirektion der dpa. Annikas Oma konnte sich keinen Reim auf die Entführung machen: „Wir haben doch mit niemanden Streit. Wenn sie kein Geld will, was hat sie denn dann mit dem Mädchen vor?“, sagte sie damals gegenüber der Presse. Wer die maskierte Frau ist, ist für die Polizei bis heute noch ein Rätsel.
Vermisste Kinder in Deutschland
- 16.600 Kinder waren 2022 in Deutschland vermisst. Die Zahl enthält jedoch auch Fälle, die sich innerhalb weniger Tage aufklären oder die über Jahre hinweg nicht aufgeklärt werden können.
- 97 Prozent Aufklärungsquote im Schnitt jährlich
- Minderjährige (im Alter von bis zu 18 Jahren) dürfen ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen; es wird grundsätzlich immer von einer Gefahr für Leib oder Leben ausgegangen, wenn sie verschwunden sind; sie gelten dann als vermisst, wenn sie nicht im Lebensumfeld aufzufinden sind und der Aufenthalt nicht bekannt ist.
- Die noch nicht geklärten Fälle beinhalten: Kindesentziehung, sogenannte unbegleitete Flüchtlingskinder, die aus ihren Unterbringungseinrichtungen abgängig sind, und "Dauerausreißer".
- Es werden zwar tagtäglich viele Kinder als vermisst gemeldet, jedoch ist der Anteil der Kinder, deren Verbleib auch nach längerer Zeit nicht geklärt werden kann, sehr gering.
Quelle: Bundeskriminalamt (BKA)
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