Pfreimd
15.02.2019 - 14:15 Uhr

In 43 Tagen zu Fuß nach Venedig

Schmerzende Knie, ein karges Nachtlager und minimales Gepäck. Wer sich wie wir, Monika und Richard Bugl, zu Fuß nach Venedig aufmacht, peilt keine Luxus-Reise an. Exklusiv ist diese Tour aus ganz anderen Gründen.

Geschafft: Monika und Richard Bugl sind in Venedig angekommen. Aufgebrochen waren sie in Pfreimd. Bild: Monika Bugl
Geschafft: Monika und Richard Bugl sind in Venedig angekommen. Aufgebrochen waren sie in Pfreimd.

43 Etappen liegen zwischen Pfreimd und Venedig. Doch das wissen wir noch nicht so genau, als wir im August 2013 am Gartentor in Pfreimd zu dem großen Spaziergang Richtung Süden aufbrechen. Noch so viel ist klar: Wie wollen diese Fernwanderung in kleinen Happen in Angriff nehmen, mal 2 Tage, mal fast eine Woche. Detaillierte Karten haben wir da noch nicht im Gepäck, denn erst ab München wollen wir uns am gängigen Wanderführer „München – Venedig. Vom Marienplatz zum Markusplatz“ orientieren. Zunächst wollen wir die Wanderschuhe „eingehen“, die erste Etappe ist nur 15 Kilometer lang und führt bis Schwarzenfeld.

Doch je länger und komplizierter der Weg zurück per Bus oder Bahn wird, umso länger und zusammenhängender gehen wir auch unsere Etappen an. An zwei freien Tagen im Januar geht es von Schwandorf über Kallmünz nach Regensburg, das sind dann schon mal rund 55 Kilometer. Kaum ein Mensch ist in der Kälte unterwegs, keiner, den man nach dem Weg fragen könnte oder nach Details zu dem bezaubernden Kirchlein in Wiefelsdorf.

Im April treffen wir auf ein Regensburg, das wir so noch nie durchschritten haben, wie überhaupt viel scheinbar Bekanntes aus dem Blickwinkel des „Touristen“ ganz neu erscheint. Wer zu Fuß geht, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mal sind es lange Reihen unglaublich hässlicher Zweifamilienhäuser, mal ist es eine Bäckerei in Elsendorf, in der die Zeit in den 60er Jahren stehen geblieben ist mit einer bis auf Nussecken und Brausebonbons fast leeren Vitrine. Beschauliche Ruhebänke sind hier rar. Gerade mal einen Tag dauert es, um den Hopfenanbau in der Hallertau zu durchschreiten.

„Wo geht’s den Ihr hin? Nach Venedig? Dann betet doch für mich auch mit“, bittet uns eine ältere Frau in der Nähe von Mainburg, die da wohl etwas mit dem Pilgern auf dem Jakobsweg durcheinander gebracht hat. Wanderer mit großem Rucksack kommen hier nicht jeden Tag vorbei. Nicht einmal an der Isar von Freising nach München sieht man bepackte Fußgänger, da wird geradelt. Kein Wunder, denn auf der 36 Kilometer langen Strecke gibt es bis zum Aumeister-Biergarten im Englischen Garten keine Chance auf Verpflegung. Kaum raus aus dem Park, sind wir schon am Marienplatz.

Der „Schaufenster-Bummel“ in der Hauptstadt fällt viel kürzer aus als gedacht, der Wanderführer leitet uns gleich weiter an der Isar entlang, doch was das Büchlein im Bergverlag Rother ab jetzt an Kilometern vorgibt (34 bis Wolfratshausen – 8 Stunden reine Gehzeit), hält nicht jeder Fuß aus. „Vorbeugend“ beschließen wir, für die Zukunft die Etappen etwas zu kürzen. Ab Lenggries wird es schweißtreibend, und die Bergwelt hält die nächste Lehre bereit für die Wanderer, die sich als „Geübte“ einstufen und einen etwas anspruchsvolleren Pfad über die Achselköpfe zur Tutzinger Hütte wählen.

Bei Wind und mit Rucksack artet die Wanderung fast in eine bedrohliche Kletterpartie aus, das wollen wir nicht noch einmal riskieren. Alles was mit „M“ wie mittelschwer oder gar mit „S“ wie schwer im Führer aufgelistet ist, beäugen wir fortan mit Skepsis. Und wir sind nicht die einzigen Venedig-Wanderer, denen es so ergeht. „Mir ging es um Entschleunigung, nicht um Hochleistung“, wundert sich Hans, ein Hamburger Ingenieur aus der Automobilbranche, den wir auf der vorletzten Etappe nach Venedig treffen, über die anspruchsvollen Vorgaben im Führer. Er hat zwei Jahre Vorbereitung für die Tour in einem Stück investiert und trainiert. Trotzdem musste der 54-Jährige, der sich eine dreimonatige Auszeit vom Job genommen hat, ein paar Zwangspausen einlegen. Aber er hat auch kein Problem damit, von ehrgeizigen Hochleistungs-Wanderern überholt zu werden.

Das Hochgebirge bindet Fernwanderer an wenige Wochen in den Sommermonaten. Schon Anfang September zwingt uns die vereiste Birkkarspitze zu einem Umweg. Dafür gibt es noch Doppelzimmer auf den Berghütten, die sonst nicht zuletzt wegen der Venedig-Wanderer oft überlaufen sind. Atemberaubende Aussichten entschädigen für harte Anstiege, auf die Seilbahn wird konsequent verzichtet – auch wenn der Führer diese Option durchaus vorschlägt.

Einfach ist es nicht, alternative Routen zu finden, um allzu anspruchsvolle Kletterpfade zu umgehen. Doch es lohnt, denn im Juli und August sind die Stars unter den Gipfeln ein Fall für die Massen – und die Berghütten ausgebucht. International geht es zu in den italienischen Alpen, wenn man mit einem Koreaner über verlorene Fußball-Weltmeisterschaften, mit distinguierten Engländerinnen über die Hütten-Regeln diskutiert und von vertauschten Bergschuhen erfährt, deren Besitzer sich durch einen glücklichen Zufall am Gipfelkreuz wiederbegegnen.

Im kleinen Ort Stein gleich hinter dem Pfitscher-Joch ist es im September nur ein Häuflein Wanderer, dass an einen Tisch passt und sich darüber austauscht, dass der Wirt in der Dominikushütte auch frisch gewaschene Socken zum Frühstück serviert. Unverhofft kann man – wie am Würzjoch – statt in einer Ütia (Hütte) in einem Hotel mit Fünf-Gänge-Menü landen oder im abgeschiedenen Pfunders einen recht heiteren Leichenschmaus miterleben. Denn dort marschiert der Trachtenverein mit mächtigen Hahnenfedern am Hut auf, und nach dem Essen karteln Bauer und Klosterschwester mit dem Pfarrer. Noch wird bairisch gesprochen, auch wenn wir längst in Italien sind.

Erst mit dem Passo Falzarego in den Dolomiten überqueren wir im Juli endgültig die Sprachgrenze. Das Cinque-Torri-Massiv ist tatsächlich ein Hingucker, in Forno di Zoldo begegnen wir den Eisdielen-Chefs im Ruhestand, und in Longarone dem tragischen Schicksal von 2000 Menschen, die 1963 innerhalb weniger Minuten umgekommen sind, als eine Flutwelle über den Staudamm schwappte.

Die letztem Etappen heben wir uns für den vermeintlich kühleren September auf, wer will schon bei 35 Grad durch die Po-Ebene marschieren? Doch da haben wir uns getäuscht. Kühl ist es nur noch auf dem Col Visentin, dem letzten großen Anstieg (1600 Meter). Unterschlupf bietet die Hütte dort nur in einem nach Moder reichenden Lager mit durchhängenden Stockbetten und verbarrikadiertem Fenster. Das sorgt für Naserümpfen, nach dem malerischen Belluno mit seinem italienischen Flair. Doch schon bald wartet Prosecco auf müde Wanderer, die sich in den südlichen Ausläufern der Alpen ein wenig wie in der Toscana fühlen.

Als wir den Fluss Piave erreichen, hat es trotzdem 35 Grad, und das Mitte September. Das Meer ist nicht mehr allzu weit, und die kleine Stadt San Dona di Piave entschädigt für den 30-Kilometer-Marsch durch Ebenen mit Weinbau-Monokultur. Klar ist dann der Massentourismus von Lido di Jesolo ein kleiner Schock, doch Venedig ist nur noch einen halben Tag und eine Fahrt mit dem Vaporetto weit weg.

Verglichen mit den Rollkoffern der Touristen fühlen sich die Rucksäcke in Venedig ausnahmsweise leicht an. Wir parken sie am 14. September nachmittags für einen Moment vor den Gondeln und reihen uns dann ein in den Strom der Neuankömmlinge. Dort tun wir das, was alle machen: Selfie auf dem Markusplatz. Für eine Nacht saugen wir mit allen Poren den Zauber der Lagunenstadt in uns auf, lassen in rosa Wolken gehüllte Berggipfel Revue passieren und blühende Almwiesen – im sicheren Wissen, dass Schönes auch nur einen kleinen Schritt von Pfreimd entfernt zu finden ist und Wildnis gleich um die Ecke.

INFO: www.muenchen-venedig.net

Viel interessanter als gedacht sind die Etappen bis München, einmalig ist beispielsweise das Hopfenanbaugebiet in der Hallertau. Bild: Monika Bugl
Viel interessanter als gedacht sind die Etappen bis München, einmalig ist beispielsweise das Hopfenanbaugebiet in der Hallertau.
Nach dieser Kletterpartie auf dem Weg zur Tutzinger Hütte mit vollem Gepäck nehmen wir künftig lieber Umwege in Kauf. Bild: Monika Bugl
Nach dieser Kletterpartie auf dem Weg zur Tutzinger Hütte mit vollem Gepäck nehmen wir künftig lieber Umwege in Kauf.
Nach der harten Tour von Stein nach Pfunders liegt diese malerische Alm mit frischem Ziegenkäse am Weg. Bild: Monika Bugl
Nach der harten Tour von Stein nach Pfunders liegt diese malerische Alm mit frischem Ziegenkäse am Weg.
Fast am Ziel: Venedig ist nur noch eine Tagesetappe weit weg. Bild: Monika Bugl
Fast am Ziel: Venedig ist nur noch eine Tagesetappe weit weg.
 
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