"Herr Wolbergs, Sie haben das Wort" - auf diese Aufforderung hatte der SPD-Politiker eineinhalb Jahre gewartet. Richterin Elke Escher räumte ihm viel Zeit ein: Wolbergs' Eröffnungsstatement füllte fast den gesamten zweiten Verhandlungstag. Gespickt war sein Vortrag mit Attacken auf die Staatsanwaltschaft, auf den politischen Gegner und auf Teile der Medien. Gleich zu Beginn macht der 47-Jährige deutlich, wie stark ihn die vergangenen zwei Jahre seit Bekanntwerden der Ermittlungen gezeichnet haben. Die Zeit sei "furchtbar" gewesen, seit seiner Inhaftierung Anfang 2018 unvorstellbar. "Ich habe alles verloren, und ich meine zu Unrecht."
Der Staatsanwaltschaft gegenüber habe er sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr geäußert, sagte Wolbergs, der sich wegen Vorteilsannahme und Verstoß gegen das Parteiengesetz verantworten muss. Er fühle sich ungerecht behandelt, verspüre eine ordentliche Portion Wut. Das Vertrauen sei weg. Umso wichtiger sei ihm das Eröffnungsstatement, "meine einzige Chance, mich einmal umfassend zu äußern".
Für den Prozess sind 70 Verhandlungstage zu allen Themenkomplexen der Anklage vorgesehen. Wolbergs sprach bereits am Dienstag sämtliche Bereiche an, wies Vorwürfe zurück, relativierte, räumte einige kleinere Fehler ein. Insgesamt blieb er jedoch dabei: "Ich habe nie etwas strafrechtlich Relevantes gemacht, und schon gar nicht mit Absicht."
Er schilderte seine Festnahme in der Tiefgarage seiner Wohnung auf dem Weg zur Arbeit, die Unterbringung in der psychiatrischen Abteilung in der Justizvollzugsanstalt Straubing, weil ihm der Ermittlungsrichter Suizidgefahr unterstellt habe. Er prangerte eine dortige Videoüberwachung an, spätere Kontaktverboten empfand er als Schikane. "Alle waren verunsichert", beschrieb er das Klima in der Stadtverwaltung. Immer wieder ging Wolbergs die Staatsanwältin Christine Ernstberger persönlich an. Angesichts der weiteren Ermittlungsverfahren, die gegen ihn laufen, rief er in Richtung der Staatsanwältinnen: "Kommen Sie in die Gänge, klagen Sie an!" Irgendwann griff Ernstberger ein und forderte Wolbergs auf, persönliche Angriffe zu unterlassen. Richterin Escher zeigte Verständnis für beide Seiten und sagte, Wolbergs Verhalten sei wohl den Emotionen geschuldet.
Sogar Lacher im Saal
Tatsächlich wirkte Wolbergs teils verbittert, wütend und erschöpft. Teils zog er die Zuhörer aber auch mit seiner geschliffenen Sprache in seinen Bann, schaffte es sogar, Lacher im Publikum zu erzeugen. Todernst wurde er, wenn es um seine Privatsphäre ging: "Ich bin inzwischen völlig nackt und muss über Dinge sprechen, die eigentlich nicht in die Öffentlichkeit hören. Dazu haben Sie mich gezwungen", sagte er in Richtung Staatsanwaltschaft.
Vehement verteidigte er die Spenden, die er für seinen OB-Wahlkampf gesammelt hatte - über 800 000 Euro insgesamt. Dass sie teils knapp unter der Veröffentlichungsgrenze von 10 000 Euro geflossen sind, sei legitim, meinte der SPD-Politiker. Unternehmen hätten ein Interesse daran, nicht mit einer bestimmten Partei in einen Topf geworfen zu werden oder wollten nicht Begehrlichkeiten bei anderen wecken. Die Regensburger CSU habe ebenso gestückelte Wahlkampfspenden erhalten.
"Weil er mich mochte"
Seiner Überzeugung nach habe ihm der ebenfalls angeklagte Bauträger Volker Tretzel gespendet, "weil er mich mochte und meinte, ich wäre ein guter Oberbürgermeister für die Stadt". Dass auf der Spenderliste weitere Tretzel-Mitarbeiter auftauchten, habe er darauf zurückgeführt, dass Tretzel sie dazu motiviert habe, an ihn zu spenden. Eine Verknüpfung zwischen den Spenden oder auch den Tretzel-Millionen für den SSV Jahn und der Vergabe der Nibelungenkaserne habe es für ihn nie gegeben, betonte Wolbergs.
Die umstrittene Neuausschreibung für das Nibelungenareal, einem begehrten Baugebiet, sei allein mit der mit der politischen Zielsetzung erfolgt, möglichst viele geförderte Wohnungen mit den besten Energie- und Ausführungsstandards zu erhalten. Ähnlich äußerte sich später auch Tim Fischer, Anwalt des mitangeklagten Stadtrats Norbert Hartl, dem die Weitergabe stadtinterner Informationen an Tretzel vorgeworfen wird. Der Prozess wird am Montag fortgesetzt.
Mit einem grandiosen Wahlergebnis zieht Joachim Wolbergs 2014 als Oberbürgermeister ins Alte Rathaus. Der eloquente, zugewandte SPD-Politiker passt zum urbaner werdenden Regensburg, wird schier getragen von einer Sympathiewelle. Es scheint, als könnte nichts und niemand diesen beliebten Macher stoppen.
Dass Wolbergs in Regensburg geboren wird und aufwächst, hat mit dem Beruf seines Vaters zu tun. Wolbergs‘ Eltern, die aus Ostfriesland stammen, waren in die Domstadt gezogen, weil der mittlerweile verstorbene Vater an der hiesigen Uni eine Stelle als Altphilologe antrat. Wolbergs hat zwei jüngere Brüder, die beide in Berlin leben. In seiner Schulzeit am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium beginnt Wolbergs‘ politischer Weg. Als Klassen-, Schüler- und Bezirksschülersprecher beschäftigt er sich mit bildungspolitischen Fragen und lernt in diesem Zusammenhang die spätere Oberbürgermeisterin Christa Meier kennen, die bis heute eine enge Weggefährtin ist. 1988 tritt er in die SPD ein.
1993 übernimmt Wolbergs die Geschäftsführung des Kulturzentrums Alte Mälzerei – und bricht dafür sein Studium ab. 2008 wird er zum dritten Bürgermeister gewählt, 2014 zum Oberbürgermeister. Nach rund zwei Jahren, in denen Wolbergs als modernes Stadtoberhaupt mit vielen neuen Ideen glänzt, folgt der Paukenschlag: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen Vorteilsannahme werden bekannt, Wolbergs beteuert seine Unschuld: „Ich war noch nie bestechlich.“ Die Amtsgeschäfte im Rathaus führt er weiter – bis zum 18. Januar 2017, an dem das für viele Regensburger Unvorstellbare passiert: Der OB kommt für knapp sechs Wochen in U-Haft, wird vom Amt des Oberbürgermeisters suspendiert.
Auch privat erlebt der SPD-Politiker einen Umbruch: 2016 trennt er sich von seiner Frau Anja, mit der er lange Jahre eine Bilderbuchehe samt zwei Kindern und Reihenhaus geführt hatte. Anja Wolbergs hat die Trennung sowie die Spendenaffäre mittlerweile in einem Roman verarbeitet, der in diesem Sommer erschienen ist.
Aus der Öffentlichkeit hatte sich Wolbergs seit seiner Suspendierung weitgehend zurückgezogen. Doch im Falle eines Freispruchs verfolgt der 47-Jährige ein großes Ziel: Dann möchte er 2020 wieder für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren. (gib)



















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