Regensburg
01.08.2019 - 14:42 Uhr

Regensburg: Provozieren fürs Klima

"Extinction Rebellion" Regensburg macht mit ungewöhnlichen Aktionen auf den Klimawandel aufmerksam. Dafür müssen die Aktivisten auch Kritik einstecken.

Bei einem „Die-In“ legten sich die Aktivisten vor dem Alten Rathaus wie Sterbende auf den Boden. Nele Heaslip trat als der Tod auf. Bild: Extinction Rebellion
Bei einem „Die-In“ legten sich die Aktivisten vor dem Alten Rathaus wie Sterbende auf den Boden. Nele Heaslip trat als der Tod auf.

Es ist eine junge Bewegung, die mit ungewöhnlichen, teils drastischen Aktionen auf den Klimawandel hinweist. „Extinction Rebellion“ wurde im vergangenen Herbst in Großbritannien gegründet und hat mittlerweile Aktivisten in 49 Ländern. In Regensburg gibt es jetzt die erste Ortsgruppe der Oberpfalz.

Claudia Salzberger und Nele Heaslip sind mit der Bahn zum Gespräch mit unserer Zeitung in Regensburg angereist. Beide wohnen im Umland der Domstadt und versuchen, so wenig wie möglich Auto zu fahren. „Fliegen werde ich in meinem Leben wohl nicht mehr“, sagt die 47-jährige Salzberger – dem Klima zuliebe. Noch mehr als den Beitrag, den jeder einzelne leisten kann, stellen die beiden Frauen aber die nötigen gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Mittelpunkt. „Die Gesetzgebung muss sich ändern“, sagt Salzberger. „Wir erwarten, dass auf die Klimaexperten gehört wird.“ So könnte man SUVs oder Kraftstoff zum Beispiel höher besteuern, damit die Menschen kleinere Autos – oder noch besser – den öffentlichen Nahverkehr nutzen. „Wir wollen nicht den Einzelnen beschuldigen, wichtig ist es, an den großen Rädern zu drehen“, betont Salzberger.

Nele Heaslip (links) und Claudia Salzberger gehören zur neu gegründeten Ortsgruppe von Extinction Rebellion Regensburg. Bild: gib
Nele Heaslip (links) und Claudia Salzberger gehören zur neu gegründeten Ortsgruppe von Extinction Rebellion Regensburg.

Die Callcenter-Agentin hatte schon länger den Wunsch, sich zu engagieren und stieß über Bekannte auf „Extinction Rebellion“, zu Deutsch „Rebellion gegen das Aussterben“. Im Februar nahm sie an einem deutschlandweiten Treffen der Gruppe in Köln teil, im Mai folgte die Gründung der Ortsgruppe Regensburg, die mittlerweile 15 Mitglieder hat. „Extinction Rebellion“ verfolgt drei Kernforderungen: Die Regierungen müssten „die volle Wahrheit über die ökologische Krise offenlegen“, die Netto-Treibhausgas-Emissionen bis 2025 auf null reduzieren und eine Bürgerversammlung einberufen, die die Maßnahmen begleitet. Den Einwand, dass klimapolitische Veränderungen den Wohlstand gefährden könnten, lässt Salzberger nicht gelten. „Wenn wir nichts tun, ist der Wohlstand künftig durch Ernteausfälle und Extremwetter noch deutlich stärker gefährdet.“

Um auf ihre Ziele aufmerksam zu machen, gehen die Aktivisten auch ungewöhnliche Wege. Dazu gehören Aktionen zivilen Ungehorsams wie Straßenblockaden. „Es ist wichtig, den Leuten auf den Senkel zu gehen“, sagt Nele Heaslip, Anglistik-Studentin an der Uni Regensburg. „Extinction Rebellion ist ein bisschen von der britischen Verrücktheit geprägte“, sagt die 22-Jährige, die selbst Halbengländerin ist. Der Protest müsse aber immer friedlich und gewaltfrei bleiben, betont Salzberger. „Wir wollen die Leute ja für unsere Thesen gewinnen – mit ein bisschen Provokation.“

Inhaltlich auf einer Linie sieht sich die Gruppe mit den Aktivisten von Fridays for Future, die seit Monaten weltweit regelmäßig fürs Klima auf die Straße gehen. „Fridays for Future ist großartig und wichtig“, sagt Salzberger. Doch sie befürchtet, dass sich die Menschen an den klassischen Demonstrationszügen irgendwann sattsehen und sie kaum mehr wahrnehmen. „Extinction Rebellion“ versuche daher, mit einem kreativen Protest Aufmerksamkeit für Klima- und Umweltthemen zu erreichen.

Aufsehen erregte auf jeden Fall die erste Aktion der Ortsgruppe Regensburg Ende Juli. Die Aktivisten warfen sich vor dem Alten Rathaus auf den Boden, um symbolisch zu sterben. Nele Heaslip trat dann im Totenkostüm vor die verdutzen Passanten, entschuldigte sich dafür, dass Spaziergänger hier über Leichen steigen müssen und wies auf die Konsequenzen des Klimawandels hin. Die Reaktionen vor Ort seien überwiegend positiv gewesen, erzählen die beiden Frauen. Nicht erwartet hätten sie den Shitstorm, der sich auf der Facebookseite eines lokalen Fernsehsenders zusammenbrauten, der über die Protestaktion berichtet hatte. Dort hagelte es Negativkommentare. Von „erfundenem Klimamist“ war da die Rede. Den Aktivisten wurde pauschal vorgeworfen, sich selbst nicht klimagerecht zu verhalten. „Geht lieber Bäume pflanzen“, hieß es.

Die Mitglieder der Ortsgruppe wollen sich von solcher Kritik nicht beirren lassen – weil sie sicher sind, dass Protest Wirkung zeigen kann. Als Erfolg des öffentlichen Drucks wertet Nele Heaslip etwa, dass CSU-Chef Markus Söder den Klimaschutz ins Grundgesetz aufnehmen will. Und sie verweist auf Großbritannien: „Die Engländer waren die größten Umweltsäue – bis sie den CO2-Ausstoß schnell und deutlich reduziert haben. Es ist also möglich.“ Heaslip hofft, dass sich das Umweltbewusstsein in den nächsten Jahren noch tiefer in den Köpfen der Menschen verankert. Claudia Salzberger ist da insbesondere in Ostbayern optimistisch. Viele seien mit den Protesten gegen die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf aufgewachsen. „Die Leute hier können durchaus aufstehen. Sie müssen nur merken, dass es notwendig ist.“

 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.