Regensburg
12.07.2021 - 16:59 Uhr

Regensburger Psychiater zu Corona: "Sollten stolz auf Erfolge sein"

Deutschland ist bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Das betonte der Regensburger Psychiater Berthold Langguth am Donnerstagabend im Presseclub Regensburg. Doch die Wahrnehmung sei anders.

Kunst und Corona: Die Edelstahlplastik „Der Erreger“" des Berliner Künstlers Götz Lemberg steht auf dem Gelände der Uniklinik Regensburg. Archivbild: Armin Weigel
Kunst und Corona: Die Edelstahlplastik „Der Erreger“" des Berliner Künstlers Götz Lemberg steht auf dem Gelände der Uniklinik Regensburg.

„Eigentlich ist es eine Erfolgsgeschichte“, sagte Professor Langguth, Chefarzt des Zentrums für Allgemeinpsychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirksklinikum Regensburg. Die Gesellschaft in Deutschland habe auf das Virus sehr schnell mit neuen Abstands- und Maskenregeln, dem Homeoffice und geschlossenen Schulen reagiert. Dadurch seien die Fallzahlen im Vergleich mit anderen Ländern eher gering. Auch die Wissenschaft habe mit der schnellen Entwicklung hochwirksamer Impfstoffe eine „Wahnsinnsleistung“ erbracht.

Und doch sieht Langguth in der Bevölkerung eine gewisse Erschöpfung, Hilflosigkeit und Angst angesichts neuer Mutationen vorherrschen. „Obwohl wir stolz sein könnten, wie wir die Krise gemeistert haben, fühlt es sich gerade nicht so an.“ Der Umgang mit der Pandemie basiere nicht allein auf Fakten, schließt der Experte daraus. Zum einen komme es auf die Persönlichkeit der Menschen an. Eher neurotische Menschen würde sich leichter Sorgen machen – Gewissenhafte, die die Hygieneregeln gut beachten, weniger.

Dazu kommt für Langguth eine falsche Balance in der Medienberichterstattung. Um ihrem Auftrag der Ausgewogenheit nachzukommen, würden manche Medien Außenseiter-Meinungen teils so viel Platz einräumen wie der gemeinsamen Ansicht vieler renommierter Wissenschaftler. Das führe aber zu einer problematischen Gleichmacherei von gesicherten Fakten und abweichenden Meinungen von Einzelpersonen.

Problematisch sei auch, dass alles, was den sozialen Kitt ausmacht, für so lange Zeit gefehlt hat, sagte Langguth: Die gemeinsame Kaffeepause am Arbeitsplatz mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Abteilungen und Positionen, das Treffen am Fußballplatz, bei dem Kinder und Eltern mit ganz verschiedenen Hintergründen zusammenkommen. So höre er von Patienten immer wieder, dass sie mit früheren Bekannten gar nichts mehr anfangen können, etwa weil sie sich zu Corona-Leugnern entwickelt haben.

Der befürchtete Ansturm auf die Psychiatrie sei in der Corona-Pandemie ausgeblieben, berichtete Langguth. Viele Experten waren zu Beginn der Pandemie davon ausgegangen, dass die psychischen Belastungen stark ansteigen, so dass auch psychische Erkrankungen und Suizide zunehmen. Doch es sei anders gekommen. Von seinen Patienten habe er immer wieder gehört, sie hätten durch ihre Krankheit bereits gelernt, mit Krisen umzugehen und würden sogar weniger leiden als ihre Familienmitglieder.

Studien würden mittlerweile belegen: In der Anfangszeit hätten die psychischen Belastungen zugenommen, gerade bei Jüngeren, Frauen und Familien mit kleinen Kindern. Das habe sich aber relativ schnell wieder normalisiert. Die Zahl der Suizide habe sich sogar leicht verringert. Natürlich habe es auch Verlierer gegeben, chronisch Kranke, Menschen, die weniger Geld in der Tasche hatten, oder Eltern, die Job und Home-Schooling meistern mussten, sagte Langguth. Sorgen machen ihm auch die Long-Covid-Patienten, die unter langanhaltenden Beschwerden wie Erschöpfung oder einer reduzierten Leistungsfähigkeit leiden. Insgesamt sei es aber „bemerkenswert, dass es keinen massiven Zuwachs an psychischen Symptomen gegeben hat.“ Es zeige sich, dass Menschen in der Lage sind, Belastungsfaktoren auszuhalten und eventuell sogar gestärkt daraus hervorzugehen.

Psychiater Berthold Langguth stellte sich in einer Online-Veranstaltung des Presseclubs Regensburg den Fragen von Journalisten. Screenshot: gib
Psychiater Berthold Langguth stellte sich in einer Online-Veranstaltung des Presseclubs Regensburg den Fragen von Journalisten.
Hintergrund:

Zur Person

  • Professor Berthold Langguth, geboren 1967, arbeitete nach dem Medizinstudium in München als Assistent an der neurologischen Klinik des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Regensburg.
  • 2002 erhielt Langguth die Facharztanerkennung in Neurologie, 2006 in Psychiatrie und Psychotherapie.
  • Er ist Mitbegründer und Leiter des interdisziplinären Tinnituszentrums der Universität Regensburg.
  • Seit 2015 ist Langguth Chefarzt des Zentrums Allgemeinpsychiatrie II an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum.
 
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