Kinderarmut bleibt einer Analyse zufolge mit dramatisch hohen Zahlen eine "unbearbeitete Großbaustelle" und könnte sich durch Corona noch weiter verschärfen. Rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in Armut auf - 21,3 Prozent aller Minderjährigen, wie die Bertelsmann-Stiftung am Mittwoch berichtete. "Seit Jahren ist der Kampf gegen Kinderarmut eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland." Dennoch gebe es seit 2014 im bundesweiten Durchschnitt wenig Verbesserung.
Die Untersuchung legt eine kombinierte Armutsmessung zugrunde. "Das hat den Vorteil, dass wir auch verdeckte Armut mit aufzeigen können und uns niemand durchs Raster fällt", sagt Projektmitarbeiterin Sarah Menne. Es werde die relative Einkommensarmut berücksichtigt - also Kinder aus Familien, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Und auch Heranwachsende im Grundsicherungsbezug sind einbezogen, deren Familien Hartz IV erhalten.
Regionale Unterschiede
Kinder- und Jugendarmut verharre trotz langer guter wirtschaftlicher Entwicklung auf hohem Niveau, so die Stiftung. Mit erheblichen Folgen für Wohlbefinden, Aufwachsen, Bildung und Zukunftschancen, sagt Bildungsexpertin Anette Stein. Es trifft mehr als jeden fünften Heranwachsenden - mit starken regionalen Unterschieden.
Um diese darzustellen, eignet sich laut Stiftung die kombinierte Armutsbetrachtung allerdings nicht, für regionale Vergleiche schaue man alleine auf den Grundsicherungsbezug: Danach lebten 2019 bundesweit 13,8 Prozent der Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. In Westdeutschland stagniere die Quote. Sie lag 2019 bei 13,1 Prozent (2014: 12,9 Prozent). Im Osten gab es seit 2014 (22,1 Prozent) zwar einen Rückgang, aber immer noch sind es 16,9 Prozent.
Auf kommunaler Ebene habe Gelsenkirchen die bundesweit höchste Zahl: Dort seien 41,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen. In Bremerhaven (35,2) und Wilhelmshaven (33,8) werden ebenfalls besonders viele junge Menschen in armen Verhältnissen groß, gefolgt von den Ruhrgebietsstädten Herne, Duisburg, Mönchengladbach und Dortmund mit mehr als 30 Prozent. Nach Bundesländern sieht es in Bremen (31,3 Prozent) und Berlin (27,0) besonders ungünstig aus, in Bayern (6,3) und Baden-Württemberg (8,1) am besten.
Großes Risiko für Entwicklung
Wie wirkt sich der Geldmangel aus? Zwei Drittel der betroffenen Kinder können mit ihrer Familie nicht eine Woche im Jahr in Urlaub fahren. Bei der Hälfte steht dem Haushalt kein Auto zur Verfügung, bei vielen reicht das Geld nicht für einmal im Monat Kino, Konzert oder Essengehen. Sie können seltener Freunde nach Hause einladen, an Klassenfahrten teilnehmen. "Armut ist das größte Risiko für die Entwicklung von Kindern, zumal sie oft lange anhält oder die gesamte Kindheit andauert", sagt Stein.
Was bewirkt Corona? Es sei mit einem deutlichen Armutsanstieg zu rechnen. "Hinweise sind Rückgänge bei Minijobs, Teilzeitjobs, irregulärer Beschäftigung, die gerade Eltern benachteiligter Kinder häufig ausüben", erklärt Menne. Sie seien unter den Ersten, die ihre Arbeit verlieren, die wenig oder kein Kurzarbeitergeld erhalten.
Zu wenig Wohnraum
Jeder vierte Heranwachsende aus einkommensarmen Familien habe daheim keinen internetfähigen PC. Die Hälfte der Kinder lebe in einer Wohnung ohne genügend Zimmer. Stiftungs-Vorstand Jörg Dräger verlangt ein Teilhabegeld oder eine eigene Grundsicherung, die alle Leistungen für Kinder bündele. Die Höhe solle vom Elterneinkommen abhängig sein, damit das Geld die wirklich Bedürftigen erreiche, erläutert Anette Stein. Kinder gehörten nicht ins Hartz-IV-System.
Aus dem Bundesfamilienministerium hieß es, man gehe mit vielen Maßnahmen gegen Kinderarmut vor. So sei der Kinderzuschlag eine Leistung für Familien mit geringem Einkommen - der Zugang dazu sei erweitert worden, die Empfängerzahl gestiegen. Die Regierung habe viel getan, um die Situation von Familien zu verbessern, sagt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer.
Oberpfalz weist niedrige Kinderarmutsquoten aus
Im Bundes- wie im Bayernvergleich präsentiert sich die Oberpfalz, was die Kinderarmut angeht, vergleichsweise gut aufgestellt. Lediglich die kreisfreien Städte weisen Werte für Kinder in Hartz-IV-Familien über dem bayernweiten Mittelwert von 6,3 Prozent aus: In Amberg leben demnach 11,2 Prozent (2014: 11,9) von Hartz IV. In Regensburg sind es 8,8 (2014: 10,1) in Weiden 15,3 Prozent (2014: 18,4).
Innerhalb der Kreise im Regierungsbezirk weist Tirschenreuth den höchsten Anteil auf: 5,2 Prozent (2014: 6,1) der Kinder sind auf Arbeitslosengeld II angewiesen.
Genau 5 Prozent weist außerdem der Kreis Schwandorf auf (5,2), dahinter folgen Neustadt/WN mit 4,6 Prozent (5,6), Amberg-Sulzbach mit 4,2 Prozent (4,3), Cham mit 4 Prozent (3,5). Am wenigsten betroffen sind die Kreise im Süden des Bezirks: Regensburg weist 3,8 Prozent (3,4), der Kreis Neumarkt sogar nur 3,1 (2,9) Prozent aus.
Auffällig ist, dass trotz der fünf Aufschwungjahre von 2014 bis 2019 der Anteil der Kinder in Armut kaum gesunken ist. In den „Boom“-Kreisen mit steigenden Immobilienpreisen, Neumarkt und Regensburg, ist der Anteil wie auch im Kreis Cham sogar leicht angestiegen. (wüw)
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