Es ist erstaunlich, welch merkwürdige Blüten und nicht für möglich gehaltene Ungereimtheiten die Retro-Welle hervorbringen kann. Jüngstes Beispiel für diese Theorie: die unerwartete Wiederveröffentlichung eines Albums von zwei skurrilen Engländern namens Roland Orzabal und Curt Smith im Zuge des 80er-Revivals - Popmusik-Kennern als Tears For Fears bestens in Erinnerung. Der Titel lautet "The Seeds Of Love", es ist das dritte Werk des Duos, veröffentlicht im Herbst 1989.
Es war die letzte Produktion, ehe das Duo sich trennte. Kommerziell nicht die erfolgreichste. Aber unter kreativem Aspekt die beeindruckendste des Zweiers, es erinnert stark an die Vielfältigkeit, Opulenz und den Einfallsreichtum der Beatles mit ihrem Meisterstück "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band". Jetzt ist es als schmucke Box erhältlich. Das Original wurde in den legendären Londoner Abbey Road Studios von Andrew Walter grandios gemastert, die Box ist aufgepeppt mit etlichen Demos, Jams, B-Seiten und Variationen sowie einer Blu-ray-Version von Prog-Ikone Steven Wilson.
Keine Trennung in Freundschaft
Die beiden charakterlich derart verschieden gepolten Tears-For-Fears-Herren (Orzabal wütend-extrovertiert, Smith scheu-zurückhaltend) aus dem verschlafenen englischen Kurörtchen Bath bildeten die gesamten 80er über eine der beliebtesten und kommerziell erfolgreichsten Bands, die von ihren drei frühen Alben weltweit bis heute mehr als 30 Millionen Kopien losschlagen konnten und aus dieser Ära auf rund ein Dutzend Top Ten-Hits wie "Shout", "Mad World" oder "Everybody Wants To The Rule The World" zurückblicken dürfen.
Die Trennung der beiden so unterschiedlichen Gemüter anno 1990 wurde nach außen hin zwar als freundschaftlich verkauft, doch bereits zwei Jahre später legten Orzabals Kommentare in einem Interview für das retrospektive Best-of-Album "Tears Roll Down" etwas anderes nahe: "Curt hat vier Stücke auf dem ersten Album gesungen, zwei auf dem zweiten, eines auf dem dritten - wie viel, meinen Sie, hätte er auf dem vierten gesungen?", blaffte er bissig den Fragesteller an.
Wie grimmig die beiden Herren sich in den darauffolgenden Jahren attackierten, es interessierte immer weniger Menschen auf diesem Planeten. Die Karrieren der beiden 80er-Superstars nach ihrem Split verliefen völlig zerfasert. Orzabal nahm unter der Tears-For-Fears-Flagge im Alleingang zwei weitere Alben auf, die allerdings weder kreativ noch kommerziell an die Meisterwerke von einst heranreichten. Danach brachte er sein erstes Soloalbum auf den Markt, das ausgerechnet am 11. September 2001 in die Läden kam und alleine schon aufgrund dieses Veröffentlichungsdatums unter einem miserablen Stern stand.
Widerwillig wiedervereint
Smith wiederum hatte 1993 ebenfalls eine Solo-Scheibe am Start, die von der Öffentlichkeit nicht beachtet und von den Medien ob ihrer Weinerlichkeit vernichtet wurde, ehe er sich als Moderator bei MTV sowie als Radio-DJ leidlich durchschlug und mit dem Gitarristen und Songwriter Charlton Pettus das kaum nennenswerte musikalische Projekt Mayfield ins Leben rief.
Zusätzlich hing über beiden Musikern all die Jahre der Trennung stets das Damoklesschwert Tears For Fears wie sie heutzutage übereinstimmend erzählen: "Immer, wenn einer von uns auf der Straße oder in einem Plattenladen erkannt wurde, war die erste Frage: Wann kommt ihr zwei wieder zusammen und macht so tolle Musik wie einst?" "Das hat", fügt Roland Orzabal mit ironischem Grinsen hinzu, "irgendwann so genervt, dass wir dem Bitten der Fans schließlich nachgaben und uns erneut zusammentaten."
2004 entstand das gemeinsame Werk "Everybody Loves A Happy Ending". Kein Geniestreich. Aber wenigstens ein akustisches Lebenszeichen zweier so unterschiedlicher Persönlichkeiten. Und jetzt also die "The Seeds Of Love"-Box. Mit der beeindruckend demonstriert wird, dass man auch unter äußerst misslichen Umständen herrlich-unsterblichen Pop fabrizieren kann.















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