Deutschland und die Welt
03.05.2019 - 13:57 Uhr

Schelte vom höchsten Polizisten

Der Chef des Bundeskriminalamts hat die Berichterstattung der Medien über Gewaltdelikte kritisiert. Der Journalisten-Verband wehrt sich und weist die Vorwürfe zurück.

Schaulustige und Reporter stehen im Dezember 2016 nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor dem Tatfahrzeug. BKA-Chef Holger Münch behauptete dieser Tage, die Angst vor solchen Anschlägen sei wegen der Berichterstattung über dieses Geschehen deutlich gestiegen. Archivbild: Michael Kappeler/dpa
Schaulustige und Reporter stehen im Dezember 2016 nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz vor dem Tatfahrzeug. BKA-Chef Holger Münch behauptete dieser Tage, die Angst vor solchen Anschlägen sei wegen der Berichterstattung über dieses Geschehen deutlich gestiegen.

(nt/az) Der Deutsche Journalisten-Verband weist die Kritik von Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), an der Berichterstattung der Medien über Gewaltdelikte als "weitgehend unberechtigt" zurück.

In einem Interview mit der "Zeit" sprach Münch davon, dass "die Berichterstattung in den Medien und der Austausch in den sozialen Netzwerken" die Wahrnehmung von Kriminalität verzerrten. Die Furcht, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden, werde so gesteigert. "Richtig ist sicherlich, dass Sensationsberichterstattung bei Lesern und Zuschauern nicht zu Besonnenheit führt", räumt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall ein. "Aber das ist zum Glück nicht die vorherrschende Art der Berichterstattung aller Medien." Diesen Eindruck jedoch vermittle der BKA-Chef im "Zeit"-Interview. Deutlich widerspricht Überall dem Präsidenten im Zusammenhang mit dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Münch behauptete, die Angst vor Terroranschlägen sei wegen der Berichterstattung über den Berliner Anschlag deutlich gestiegen.

"Über den ersten islamistischen Anschlag auf deutschem Boden können Journalistinnen und Journalisten nicht im Stil eines kriminalwissenschaftlichen Pro-Seminars berichten", entgegnet der DJV-Vorsitzende. Grenzüberschreitungen habe es in Einzelfällen gegeben, "aber das ist nicht geeignet für eine pauschale Medienkritik".

Einig sei er sich mit dem Präsidenten des BKA darin, dass den Journalisten eine große Verantwortung in der Berichterstattung über Gewaltverbrechen zukomme. "Dieser Verantwortung sind wir Journalisten uns sehr bewusst - auch ohne mahnende Worte von Deutschlands höchstem Polizisten", betonte Überall.

Der Deutsche Presserat twitterte: "Die meisten Printmedien haben sich zur Einhaltung des Pressekodex verpflichtet - und damit zu verantwortlicher Kriminalberichterstattung, wie sie in Richtlinie 8.1 und Ziffer 11 geregelt ist."

Info:

Aus dem Pressekodex

Richtlinie 8.1 – Kriminalberichterstattung (Auszüge):

(1) An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit. Es ist Aufgabe der Presse, darüber zu berichten.

(2) Die Presse veröffentlicht dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt. Bei der Abwägung sind insbesondere zu berücksichtigen: die Intensität des Tatverdachts, die Schwere des Vorwurfs, der Verfahrensstand, der Bekanntheitsgrad des Verdächtigen oder Täters, das frühere Verhalten des Verdächtigen oder Täters und die Intensität, mit der er die Öffentlichkeit sucht.

Für ein überwiegendes öffentliches Interesse spricht in der Regel, wenn:

eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat vorliegt;

ein Zusammenhang bzw. Widerspruch besteht zwischen Amt, Mandat, gesellschaftlicher Rolle oder Funktion einer Person und der ihr zur Last gelegten Tat;

bei einer prominenten Person ein Zusammenhang besteht zwischen ihrer Stellung und der ihr zur Last gelegten Tat bzw. die ihr zur Last gelegte Tat im Widerspruch steht zu dem Bild, das die Öffentlichkeit von ihr hat;

eine schwere Tat in aller Öffentlichkeit geschehen ist;

ein Fahndungsersuchen der Ermittlungsbehörden vorliegt.

Info:

Aus dem Pressekodex

Ziffer 11 – Sensationsberichterstattung, Jugendschutz (Auszüge):

Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid. Die Presse beachtet den Jugendschutz.

Richtlinie 11.1 – Unangemessene Darstellung:

Unangemessen sensationell ist eine Darstellung, wenn in der Berichterstattung der Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel herabgewürdigt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn über einen sterbenden oder körperlich oder seelisch leidenden Menschen in einer über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgehenden Art und Weise berichtet wird. Bei der Platzierung bildlicher Darstellungen von Gewalttaten und Unglücksfällen auf Titelseiten beachtet die Presse die möglichen Wirkungen auf Kinder und Jugendliche.

Richtlinie 11.2 – Berichterstattung über Gewalttaten:

Bei der Berichterstattung über Gewalttaten, auch angedrohte, wägt die Presse das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegen die Interessen der Opfer und Betroffenen sorgsam ab. Sie berichtet über diese Vorgänge unabhängig und authentisch, lässt sich aber dabei nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen. Sie unternimmt keine eigenmächtigen Vermittlungsversuche zwischen Verbrechern und Polizei. Interviews mit Tätern während des Tatgeschehens darf es nicht geben.

Richtlinie 11.3 – Unglücksfälle und Katastrophen:

Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen (...) durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

 
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