Endlich heim! Seit Anfang September war ich im Internat in Regensburg, ununterbrochen - nur einige Briefe waren der Kontakt zum Elternhaus. Dann der 23. Dezember 1957 - ein Tag vor Heilig Abend! Abfahrt des Zuges in Regensburg 12.24 Uhr, Ankunft in Schwandorf 14.10 Uhr. Warum fuhr der Bockelzug so langsam. Auf dem schnellsten Weg heim zur Mutter. Ich sah nicht, dass die meisten Häuser in dem schwer zerbombten Bahnhofsviertel wieder aufgebaut und die größten Spuren des Krieges beseitigt waren. Schnell die Pesserlstraße, dann die Unterführung, Lindenstraße, Herbststraße - zu Hause!
"Komm nur, Bub, wir warten schon - setz dich hin und iss erst mal." Die Kartoffelsuppe war gut, das Brot köstlich, die Stimmung bestens. Meine Brüder hatten Spiele vorbereitet, ich packte stolz mein Köfferchen aus: Kleine Habseligkeiten und meine Geschenke, die ich selbst gemalt und gebastelt hatte: Unsere Pfarrkirche Herz Jesu, in der Mutter fast jeden Tag den Gottesdienst besuchte, einen Christbaum für den Vater, den er immer aus dem Wald besorgte, für meine Brüder einen Schal und warme Socken.
Schmücken der Bäume
Nach der Abendbrotzeit musste mir die Mutter noch etwas Wichtiges sagen: "Schwester Mellita war heute bei mir und bat dich, Ihr zu helfen beim Schmücken der Christbäume in der Kirche. "Ich trau mich nicht mehr auf die hohe Staffelei - könnte nicht der Siegfried das Lametta anhängen? Ich werde es ausbügeln und er hängt es an die Zweige. Ich fange um 19 Uhr an - gegen Mitternacht werden wir fertig sein." "Nein, Mutter, ohne mich! Die eiskalte Kirche! Der erste Abend daheim nach so langer Zeit! Der böse Pfarrer, der mich schon so oft geschlagen hat! Ich habe Angst! Nein, bitte nicht!" Die Mutter schluchzte: "Wir können die Schwester nicht alleine lassen. Ich komme später nach und helfe euch. Bitte geh' und hilf ihr - du machst der Schwester die größte Weihnachtsfreude!"
Freude? Dieses Wort klingt mir in den Ohren. In den letzten Tagen im Seminar hat uns der Direktor immer gesagt: "Jetzt in den Ferien müsst ihr gerade an den Weihnachtsfeiertagen den Menschen Freude bereiten." "Ja, sagte ich - dann geh' ich halt. Die arme Schwester, ich muss ihr doch helfen." Also zog ich mich warm an und stiefelte zur Kirche hinauf. Als ich die große Kirchentür öffnen wollte, kam mir schon Schwester Mellita entgegen: "Dich schickt der Himmel! Gott sei Dank, dass du da bist. Komm schnell, ich zeig dir, wie es geht: Hier auf diesem Bügelbrett lege ich jeden Lamettafaden einzeln her. Ich reiche sie dir hinauf und du musst alle Äste schön behängen - jeden gleich lang und auch die Abstände gleich, ja nicht knicken. Du weißt: Unser Pfarrer ist sehr streng und genau. Es muss alles passen: Exakt!"
Wir machten uns an die Arbeit - 19 Uhr. Die Bäume waren nicht sehr hoch - 5 Meter. Oben ging's los - Ast für Ast, Faden neben Faden - exakt und ganz genau! Die Schwester kontrollierte immer wieder. Sie war mit meiner Arbeit zufrieden. Nach etwa fünf Stunden - es ging schon auf Mitternacht zu, meine kleinen Finger erstarrten vor Kälte. Ich stand schon auf dem Kirchenboden und schmückte die untersten Äste. Bald werden wir es geschafft haben - den ersten Baum.
Da kam unerwartet Besuch: Der Stadtpfarrer riss die Sakristeitüre auf, blieb vor der Staffelei stehen, schüttelte den Kopf und fing an zu schreien und zu toben. Er stampfte mit den Füssen auf den Boden. "Nein - so nicht! Unmöglich!" Hasserfüllt stieg er auf die Leiter, riss das Lametta von den Ästen, warf es auf den Boden, trampelte mit den Schuhen auf dem silbernen Schimmer, fluchte und verschwand. Da hatten wir die Bescherung! Die Arbeit von vier Stunden vernichtet. Schwester Melitta saß auf den eiskalten Altarstufen und weinte.
Furchtbare Angst
Ich versteckte mich hinter dem Altar und hatte furchtbare Angst: Wenn der noch einmal aufkreuzt? Morgen ist Heiligabend! Wie schaffen wir das? "Schwester ich möchte heim, mich friert und ich habe Angst", sagte ich. "Das kannst du mir jetzt nicht antun! Lass mich nicht allein, bleib bei mir, hilf mir, dass wir morgen Weihnachten feiern können." Nochmals schluchzte ich und weinte herzhaft. Mich schüttelte es am ganzen Körper, ein Häuflein Elend... Unmittelbar dachte ich an die Worte von Bischof Kamphaus: "Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsere Nacht nicht traurig sein ..."
War da nicht ein Klopfzeichen? Ganz leise und zaghaft - es wurde immer lauter. Die Schwester wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und eilte zur Kirchentüre. Da stand mitten in der Finsternis meine Mutter: "Ich will meinen Buben abholen. Seid ihr endlich fertig?" "Kommen Sie nur rein und schauen Sie, was passiert ist." Als meine Mutter das Chaos im Altarraum sah, musste sie sich in eine Kirchenbank setzen - ich eilte zu ihr, sie schloss mich in die Arme. "Armer Bub, was ist da passiert! Und morgen ist Heiligabend." Die Schwester machte uns einen warmen Tee. Sie hatte auch einige Plätzchen. Jetzt sind wir ja zu dritt! So ein Mensch kann doch Weihnachten nicht kaputt machen.
Nach einer Pause schlug die Turmuhr zwölfmal. Die Schwester steckte das Bügeleisen wieder an, stellte das Bügelbrett wieder auf, ich stieg auf die Staffelei. Meine Mutter sammelte die zertretenen Lamettastreifen vom Boden auf, streifte sie mit den Händen glatt und gab sie mir, nachdem sie wieder in Form gebracht waren.
"Du darfst ein bisschen schneller machen, sonst schaffen wir die beiden Bäume bis zum Rorate nicht", sagte die Mutter. Also schneller und nicht mehr so genau. Zur Frühmesse um sieben Uhr hatten wir es geschafft. Nach einer Nacht voller Arbeit, Tränen, Kälte und Enttäuschungen. Der Kaplan kam und staunte: "So schöne Christbäume! Da können wir ja heut Abend Heilige Nacht feiern."
Ergreifende Predigt
Die Mutter versteckte noch schnell ihren Putzeimer und während sich der Kaplan in der Sakristei die priesterlichen Kleider anzog, flohen wir aus der Kirche. Der Morgen erwachte und ich schlüpfte in mein kaltes Bett. Allein im Zimmer. Völlig ungewohnt. Ich dachte an den großen Schlafsaal in Regensburg mit 70 Betten, dachte an die lauten Träume meiner Kameraden, die immer wieder nach der Mutter riefen. So viele schnarchten laut. Jetzt endlich Ruhe!
An Heiligabend weigerte ich mich, in die Kirche zur Christmette zu gehen. Am Christtag nahm mich mein Vater an die Hand und ging mit mir auf den Kreuzberg, um vor der Krippe das Weihnachtsfest zu feiern. Nach der Zerstörung in der Bombennacht des 17. April 1945 war auch dieses Gotteshaus wieder aufgebaut. Der Chor sang schöne Lieder, der Pater hielt eine ergreifende Predigt mit viel Schmalz, die Lichter an den Christbäumen strahlten.
Meine Gedanken waren immer noch in jener Nacht, wo alles so brutal zerstört wurde und dennoch: Wo Menschen zusammenhalten und gemeinsam das Gute tun, da geschieht das Wunder der Heiligen Nacht. Da leuchtet ein Licht, da glänzen die Sterne! Es wird heller und froher: Friede den Menschen auf Erden, die einen guten Willen haben, die nicht zerstören, sondern aufbauen, die nicht verletzen, sondern heilen, die sich nicht anpassen, sondern mutig dem Herrn dienen! ER wurde unser Heiland und ER will, dass wir in seinem Namen das Gute in der Welt tun, damit Menschen in Würde und Freiheit leben können.
Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.
Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.