Von japanischen Klängen ist erst einmal nichts zu hören. Puccinis "Madame Butterfly" setzt mit einer europäischen Fuge zum Abflug an. "Ruvidamente", brutal und grob, sollen die Musiker der Staatsphilharmonie Nürnberg diesen Auftakt gestalten. Ein musikalisches Motiv ertönt, das immer wieder in der 1904 in Mailand uraufgeführten Oper zu hören ist. Die Noten stammen aus Smetanas Werk "Die verkaufte Braut", das zu dieser Zeit sehr populär war. Puccinis versteckte Botschaft lautet: Diese Ehe nimmt kein gutes Ende.
Es ist die musikalische Vielfalt, die dem in psychologische Gefilde flatternden Schmetterling farbige Flügel verleiht. Yankeehafte, amerikanische Anklänge wechseln sich mit jazzigen Rhythmen ab, um dann in jasminblütenhaften und duftigen Klangwolken melodisch aufzugehen. Obwohl Puccini kein einziges japanisches Instrument zum Einsatz bringt, erzeugt er - mit viel Tamtam und Glockenspiel - eine asiatisch angehauchte Wirkung. Immer wieder denkt man beim Zuhören an Shamisens, Kotos oder exotische Flöten. Zehn original japanische Melodien fließen bei dieser Oper mit ein, die der Meister für seine Zwecke puccinisierte. Der Chor des Staatstheaters und die Staatsphilharmonie schmücken dieses überwältigende Dynamik-Spektrum stets stil- und gehaltvoll aus.
Die Solisten tragen den größten Teil dazu bei, diesen Premierenabend lange in Erinnerung zu behalten. Barno Ismatullaeva tritt von Anfang selbstbewusst und stimmmächtig auf, ein naives Opfer der Liebe ist sie in dieser Inszenierung nicht. Die Partie der Cio-Cio-San, genannt Butterfly, liegt ihr perfekt in der Kehle. Der polnische Tenor Tadeusz Szlenkier (Pinkerton) setzt immer wieder dramatische Höhepunkte und darf am Ende sogar reumütig erscheinen, ist aber nach eigenen Aussagen zu "feige", um "seinem" Schmetterling die Wahrheit zu sagen. Kühl wie Grace Jones, aber stets eine gute Freundin auf Augenhöhe - Almerija Delic beweist sich in der Rolle der Suzuki stimmlich wie darstellerisch als einfühlsame Seelentrösterin.
Vernachlässigen darf man das immer gleiche Bühnenbild, dessen verschiebbare Wände etwas unkontrolliert und planlos zum Einsatz kommen. Anfragen sind zudem erlaubt im Blick auf die Regie. Schon im Programmheft beschreibt Tina Lanik ihren feministischen Ansatz, Butterfly nicht in der Opferrolle und als naives Mädchen zu betrachten: "Sie kämpft um ihre Würde und Rechte und darum, als Mensch wahrgenommen zu werden und nicht nur als Sexobjekt." Wo das in der Personenführung deutlich werden soll, bleibt ihr Geheimnis. Der ständige Griff zum Dolch - warum? Die Selbsttötung als emanzipierter Befreiungsschlag?
Einleuchtender wäre es, auf Schubladen wie "starker Mann" oder "starke Frau" zu verzichten und menschliches Verhalten in seiner Disparität zu entlarven, wie es bei Pinkerton und Cio-Cio-San doch deutlich zu Tage tritt: Auf der einen Seite "Was kostet die Welt - ich mache, was Laune macht", auf der anderen Seite die Rücksichtnahme und der Versuch, ehrenvoll zu leben. Puccinis Wunsch, Menschen emotional zu berühren und ihre Gefühle zu bespielen "wie die Tastatur einer Orgel" wird in Nürnberg deshalb vor allem durch die fantasiereiche Musik erfüllt und durch Butterflys Kind, das von Jana Beck so wundervoll eindrücklich gespielt wird. Da gibt es dann doch noch Taschentuch-Momente.
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