06.12.2018 - 22:48 Uhr

Soul-Schreie nicht von dieser Welt

Charles Bradley ist der Spätzünder des Soul: Mit über 60 nimmt er sein Debütalbum auf, gilt als legitimer Nachfolger von James Brown. Doch seinen späten Erfolg kann er nicht lange auskosten. Im September 2017 stirbt Bradley mit 68 Jahren. Ein posthumes neues Album erinnert jetzt an den "Screaming Eagle of Soul".

Charles Bradley. Bild: Kisha Bari
Charles Bradley.

Ich hörte, du suchst einen Sänger." Mit diesen Worten begann Anfang der 2000er Jahre die späte Karriere von Charles Bradley, geboren am 5. November 1948 in Gainesville, Florida. Bradley stand in der Tür von Gabriel Roth, einem der Mitbegründer des Soul-Plattenlabels Daptone in Brooklyn, New York. Der Musiker bekniete Roth und seinen Partner Neal Sugarman, in die "Tarheel Lounge" zu kommen. Dort war Bradley als "Black Velvet" zu sehen - ein James-Brown-Cover-Act.

Handwerklich begabt

Obwohl die Band "nur" Coverversionen spielte, waren Roth und Sugarman von Bradleys Performance beeindruckt, wie er sich da auf der Bühne abkämpfte, abwechselnd schrie und raunte. Bereits wenige Wochen später nahmen sie im Studio "Take it as it comes" auf, das 2002 als erste Single von Charles Bradley erschien - da war er bereits über 50, nicht schlecht für einen "Newcomer". Der Sänger wurde ein wichtiger Teil der Daptone-Familie, und das nicht nur musikalisch. Als das Label ein zweistöckiges Haus in Bushwick übernahm, verputzte er die Wände, baute die Kellertreppe wieder auf und brachte Labelchef Roth bei, wie man Heizkörper installiert. Nach mehreren Singles kam mit "No Time for Dreaming" 2011 Bradleys Debütalbum auf den Markt - eine Soul-Zeitreise, auf Augenhöhe mit den Klassikern des Genres.

Charles Bradley war danach nahezu ununterbrochen auf Tournee und gab Konzerte - anfangs mit der Menahan Street Band und schließlich mit seiner langjährigen Band The Extraordinaires. Er war gerade mit seinem dritten Album, "Changes", auf Tournee in England, als er mit starken Bauchschmerzen in eine Klinik gebracht werden musste. Einige Wochen später wurde bei ihm Magenkrebs diagnostiziert. Trotz der Behandlung tourte er ausgiebig und vollendete so viele Aufnahmen wie möglich für das folgende Jahr. Am 23. September 2017 starb er.

Mit "Black Velvet" (Daptone Records/Groove Attack) ist jetzt posthum ein Album mit zehn Studioaufnahmen erschienen, die noch nie zuvor auf einem Album zu finden waren. Thomas "TNT" Brenneck, Bradleys langjähriger Produzent, Co-Autor und enger Freund, hat diese Hommage an den Ausnahmesänger zusammengestellt. "Einige Songs auf diesem Album sind für mich wirklich herausragend", sagt Brenneck im Interview mit Oberpfalz-Medien. "Ich dachte beispielsweise nicht, dass wir 'Can't fight the Feeling' jemals fertiggestellt hatten, aber dann fand ich den Song, als ich die alten Bänder aus dem Jahr 2007 durchstöberte - eine ganz schöne Überraschung. Das hat meine Stimmung aufgehellt, denn der ganze Prozess war doch eher deprimierend." Aber der Musiker stieß noch auf andere Perlen: "Auch 'I feel a Change' ist uns irgendwie durchgerutscht - den Song habe ich auf einem alten Band aus den 'Victim of Love'-Sessions gefunden. Ich hab' vor der Abmischung nur noch die Bläser und die Orgel hinzugefügt, der Rest war schon da."

Charles Bradley. Bild: Isaac Sterling
Charles Bradley.

Raus aus dem Kokon

Und der Titelsong "Black Velvet"? "Das war ein Stück, das ich unbedingt mit Charles aufnehmen wollte, aber unglücklicherweise kam es dazu nicht mehr. Ohne ihn ist das nun ein großartiges Instrumental geworden, und die Fans können sich einfach vorstellen, wie er sich durch diese dunkle Ballade gekämpft hätte."

Bradley war ein Mann der inneren Konflikte und der Widersprüche, stets im Kampf gegen seine Seelendämonen. Aber das Tonstudio wirkte wie ein Zufluchtsort für ihn. "Das Aufnahmestudio war immer der Ort, an dem er sich wohlfühlte und er selbst war", sagt Brenneck. "Sobald der Schmetterling erst mal aus seinem Kokon geschlüpft war, war alles, was Charles tat, einzigartig." Dabei gab es immer feste Rituale: "Im Studio nahm er immer zuerst einen starken Drink zu sich und erzählte für ein paar Stunden Geschichten aus seiner Vergangenheit - wir hörten Platten an und quatschten. Wir zogen oft Inspiration für Songs aus seinen Geschichten."

Sein hartes Leben vor der allzu kurzen und allzu späten Karriere als Sänger diente als Inspiration. Bradley arbeitete lange Jahre als Koch und in anderen Gelegenheitsjobs, hatte kein Geld. Auch privat erlebte er die Härten des Lebens hautnah: Er fand die Leiche seines Bruders, dem sein Neffe in den Kopf geschossen hatte. "Um großartige Songs aus Charles herauszubekommen, musste er sich gut genug fühlen, um sich in die schmerzhaftesten Momente seines Lebens hineinzuversetzen", erinnert sich Brenneck. "Seine Lebensgeschichte und die Prüfungen, die er durchgemacht hatte, waren immer der Ursprung für diese großartigen Schreie und seinen flehenden Gesang. Und dunkle Tage hat er viele erlebt."

Charles Bradley. Bild: Kisha Bari
Charles Bradley.
 
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